52
Die See- und Meerkarte.
geführt. Während jene direkt in das Abbildungsnetz eingespannt wurde, dient diese
zunächst der Entfernungsbestimmung von Hafenorten, was schließlich auch zur
Herstellung von Kartenbildern führte (S. 2, 7). Bei den geringen und zuweilen un
zuverlässigen Angaben über die Größe der hierbei angewandten Streckenmaße ist
es nicht leicht, die Vielheit der Maße und ihre Zahlenwerte auseinander zu halten.
In älterer Zeit war es besonders J. B. Riccioli, der sich mit den vielen Maßen be
schäftigte und ihre Größen gegeneinander abzuwägen suchte. 1 Zu einer völligen
Klarstellung ist er nicht vorgedrungen, schon weil ihm die richtigen Erdmaße fehlten.
Neuerdings ist es H. Wagner gelungen, das Problem, das die geschichtliche Be
trachtung der Seemeile darbot, zu lösen. Seine Abhandlung ,,Zur Geschichte der
Seemeile“ ist grundlegend 1 2 , und die folgenden Darlegungen beruhen in der Haupt
sache auf den Ergebnissen der Wagnerschen Untersuchungen. 3
Größere Streckenmaße wurden, sobald man auf dem Lande oder dem Wasser
zu messen anfing, den Größenverhältnissen der Erdkugel entlehnt. So wurde im
Mittelalter das auf Ptolemäus zurückgeführte Streckenmaß, nach dem der Erdgrad
zu 500 Stadien = 62 4 / 2 Miliarien (1 Miliaria, die alte römische Meile, = die Tausend-
Schritt-Meile) angenommen wird, für die Schiffahrt brauchbar gemacht. Die römische
Schiffsmiglie war eine Tausend-Schritt-Meile. Man bediente sich ihrer bei der Fahrt
in atlantischen Küstengebieten, nördlich und südlich der Straße von Gibraltar. Auch
Kolumbus rechnete nach ihr. Wagner nennt sie die romanische Seemeile, obwohl
der Ausdruck Miliaria italica nahe liegt, aber nicht gewählt wurde, weil die italienische
Landmeile (60 = 1°) schon seit alters her so bezeichnet wird. 4 Diesen Wert kannten
die alten Seefahrer nicht, obwohl sich heute noch verschiedene Historiker irrtümlicher
weise darauf berufen, wie die aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, die das Zeitalter
der Entdeckungen gelegentlich der 500-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas aufzuhellen
suchten. Die Größe der romanischen Seemeile nimmt Wagner zu 1480 m an. Fast
gleichzeitig mit A. E. v. Nordenskiöld erkannte er, auf umfangreiche planimetrische
Messungen gestützt, daß diese oder eine ähnliche Migliengröße für die ältern Seekarten
des Mittelmeers zu groß sei. Deshalb wurde den Miglien in den Portulanen nur eine
Größe von rund 1280 m gegeben und des näheren ausführlich begründet. 5
Als der Schwerpunkt des Schiffsverkehrs vom Mittelmeer in den Atlantischen
Ozean rückte, fing man an, wie oben angedeutet, das Streckenmaß zur See mit dem
Erdgrad in engere Fühlung zu bringen. Eine weitere Folge war, daß dies Maß, je nach
der Kenntnis von der Erdgestalt, verschiedenen Schwankungen unterworfen war.
Es zeigte sich ferner die auffällige Tatsache, daß die Kosmographen und Karten
bearbeiter der Renaissance und Folgezeit sich die Erde viel zu klein dachten und
die Seefahrer einen wesentlich richtigem Begriff von der Größe der Erde hatten.
1 J. B. Riccioli, a. a. O., S. 36, 477. H. Wagner ist in seiner Abhandlung über die See
meile (s. folg. Anra.) auf Ricciolius nicht näher eingegangen. Daß diese Lücke in der Geschichte der
Seemeile, wie überhaupt der Erdmaße, bald ausgefüllt würde, wäre wünschenswert.
2 H. Wagner: Zur Geschichte der Seemeile. Annalen der Hydrographie u. Maritimen Metero-
logie 1913, S. 393-413, 441-450.
3 Gleichsam ein Exzerpt von H. Wagners Geschichte der Seemeile gibt H. Löschner i. P. M.
1914, I, S. 276.
4 H. Wagner vermutet, daß der Deutsche Nicolaus Germanus der Urheber dieser Meilen
bestimmung, die bei den Kosmographen in ausgiebiger Weise angewandt wurde, ist; a. a. O., S. 399.
5 Vgl. H. Wagner, a. a. O., S. 397, u. H. Wagner: Das Rätsel der Kompaßkarten im Lichte
der Gesamtentwicklung der Seekarten. Verh. d. XL Deutsch. Geographentages. Bremen 1895.