Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

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Ästhetik und Logik der Karte. 
der Logik gezogen. Die Ästhetik beleuchtet den künstlerischen Gehalt, die Logik 
untersucht vorzugsweise den wissenschaftlichen Aufbau der Karte, bestimmt aber 
auch ihre Grenzen und Befugnisse. Zudem zeigt sie, daß nicht alles couleur de rose ist. 
Die Funktionen der Kartenlogik umfassen mithin alle Zweige kartographischen 
Schaffens, sei es in der Herstellung der Situation oder in der Namengebung 1 , sei es 
beim Generalisieren oder beim Aufbau der angewandten Karte. Grade bei dieser 
leuchtet die Kartenlogik in die seltsamsten Verhältnisse hinein. Denken wir nur an 
ein scheinbar ganz ausgefallenes Beispiel, an einen Literatur-Atlas, der die Beziehungen 
zwischen Landschaft und Literatur klarzulegen hat. 1 2 Setzt das nicht neben einer 
historischen Schulung auch ein gewisses logisches Denken voraus. Auf dieses mag 
selbst das eigenartige Kartenkuriosum nicht verzichten. 3 
Die Karte muß ein äußerlich abgerundetes Bild zeigen, ob dies in Quadrat-, 
Rechteck-, Ellipsen-, Scheiben- und irgendeiner andern Form geschieht, das ist ganz 
gleichgültig. Innerhalb des Rahmens müssen bestimmte größere oder eine Summe 
zusammengehöriger kleinerer landschaftlicher Einheiten zur Darstellung kommen; 
sie müssen sodann auf der Karte ein Ganzes bilden. Auch die Karten der Hand 
atlanten befolgen im allgemeinen dieses Prinzip. Verschiedene Karten in Hand 
atlanten des In- und Auslandes machen eine Ausnahme davon, weil sie zugleich den 
Zweck verfolgen, als Einzelglieder eines großem Kartenblattes zu einem solchen 
auch zusammengesetzt zu werden, was — nebenbei bemerkt — jedoch selten in der 
Praxis geschieht. Wird bei andern Karten desselben Atlasses dieses Prinzip durch 
brochen, erscheint das natürlich unlogisch den andern Karten gegenüber. Debes 
hat in seinem Handatlas das logische Moment in der Darstellung einheitlicher land 
schaftlicher Bilder zuerst am besten erfaßt. 
208. Das Generalisieren ein logisches Schaffen. Bei der Ästhetik der Karte 
haben wir das Generalisieren bereits als ein künstlerisches Schaffen kennen gelernt. 
1 U. a. vgl. den wertvollen Vortrag von W. Schüler Üb. Namengebung auf geograph. Karten 
(Bern 1923), u. daselbst bes. S. 11. 
2 Vgl. Siegfr. Robert Nagel: Deutscher Literatur-Atlas. Wien u. Leipzig 1907. Er zeigt 
auf 15 Haupt- u. 30 Nebenkarten die geogr. u. politische Verteilung der deutschen Dichtung i. ihrer 
Entwicklung nebst einem Anhang von Lebenskarten der bedeutendsten Dichter. Wie oben gesagt, 
soll der Atlas die Beziehungen zw. Landschaft u. Lit. durch Karten deutlich machen u. zeigen, welche 
Landschaften an der Hervorbringung bedeutender Dichter u. Denker Anteil haben u. welche Land 
schaften u. Städte zu gewissen Zeiten besondere Anziehungskraft auf diese Geister gehabt haben 
(vom Mittelalter bis auf d. neueste Zeit). Die Lebenskarten der Dichter u. Denker zeigen ihre Wohn 
orte u. Wirkungsorte von der Geburt bis zum Tode. — Ähnliche Karten ließen sich auch für Künstler 
u. Gelehrte herstellen. Vgl. weiter oben § 181, wohin gleichfalls Nagels Atlas gehört. 
3 So z. B. die Karte „Leipziger Studentengeographie“. Es ist eine Umgebungsk. von Leipzig 
mit allen im 18. Jh. von den Studenten besuchten Bierdörfern. Zu jedem Dorfe ist am Kartenrand 
eine kurze, aber derbe u. deutliche Erläuterung der sich dort bietenden Genüsse des Essens, Trinkens 
u. der Liebe. Unt. d. K. stehen die Zeilen: „Die Lage einer fremden Gegend kennen, — Der Städte 
Pracht u. ihre Namen nennen, — Ist nichts, ist bloße Theorie, — Allein in Städten hübsche Mädchen 
küssen, — Des Dorfes Bier u. seine Stärke wissen, — Ist praktische Geographie.“ — Die Karte ist 
1773 (farbig und 37x20 cm) und 1789 (19x22V 2 cm) erschienen, etwa in 1: 90000. Da sie den Zorn 
der Bücher-Kommission erregte, wurden die beiden Kupferplatten sowie die Abdrucke eingezogen 
u. darüber an d. Oberkonsistorium in Dresden berichtet. Chapieux, stud. math. u. Zeichenlehrer 
an der Oeser-Akademie hatte die Zeichnung u. Frau Joh. Dorothea Philippi, geh. Sysang, den 
Kupferstich geliefert. (Die K. war bei Gelegenheit des XX. Deutschen Geographentages in Leipzig 
1921 i. d. Deutschen Bücherei ausgestellt.)
	        
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