Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

Wesen und Aufbau der Seekarte. 
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vor Einführung des Schiffskompasses die Winde als acht volle Winde und 
acht Zwischen- oder halbe Winde graphisch in einem Strahlenbüschel dargestellt. 
Das eigentliche Kompaßbild, wie es uns später in seiner differenzierenden Darstellung 
der Windrichtungen entgegentritt, war den ersten Rumbenkarten fremd. Am 
frühesten tritt das Kompaßbild im catalanischen Atlas 1875 und auf Pinelli’s Por 
tulan 1884 auf, dort nur einmal und außerhalb des eigentlichen Rumbensystems, 
hier als Zentralsonne von zwei Rumbensystemen. Dann verschwindet das Bild 
wieder auf den Karten, um erst 1502 mit Catino’s Weltkarte den Reigen der zahl 
reichen Wiedergaben des bekannten Bildes zu eröffnen, auf dessen Darstellung sogar 
großes Gewicht gelegt wird, aber immer nur in Räumen der Karte, wo die Situations 
zeichnung, soweit sie auf wirklichen Grundlagen beruhte, nicht beeinträchtigt wurde. 
Klassische Beispiele hierfür sind die Rumbenkarten von Georgio Calapoda 1552 
und von Domingo Olives 1568. Und seit jenen Zeiten hat das Kompaßbild sich 
mehr oder weniger auf den Seekarten bis in die Gegenwart behauptet. Heute hat 
es auf der Seekarte seine bestimmte Bedeutung, die es früher nicht hatte, war es doch 
für die Rumbenkarten lediglich Zierat, auf den in vielen Fällen ohne Schaden für 
das Ganze verzichtet wurde. Es war also die Kompaßrose kein Charakteristikum 
für alle Rumbenkarten, wie d’Avezac glaubte. 1 
Zur Aufnahme der Rumbenkarten hat der Kompaß, wie wir oben bereits durch- 
blicken ließen, nichts beigetragen; 0. Peschei war somit irriger Meinung. 3 Schon 
A. Breusing protestierte gegen Peschei. 1 2 Wären die Rumbenkarten von dem Kompaß 
geschaffen und beherrscht, müßte sich auf ihnen auch die Wirkung der Deklination 
für den Aufbau der Karte tatsächlich nachweisen lassen. Weiterhin müßte sich die 
Änderung der Mißweisung bei dem jahrhundertelangem Gebrauch der Karten 
bemerkbar machen. Diese allgemeinen und wohlbegründeten Behauptungen können 
durch die wenigen Ausnahmen, die auf Reinei, Olives, Barentzoon und Champlain 
zurückführen (S. 10), nicht erschüttert werden; übrigens gehören diese Karten 
einer spätem Zeit an und sind auch keine typischen Rumbenkarten mehr. 
Indirekt spricht für unsere oben entwickelte Entstehungstheorie die richtige 
Zeichnung des Mittehneeres. Über die verhältnismäßige Richtigkeit der Ortslagen 
und gegenseitigen Entfernung der Mittelmeerküsten hat man des öftern seine Ver 
wunderung zum Ausdruck gebracht, besonders im Vergleich mit den andern karto 
graphischen Erzeugnissen des Mittelalters und der spätem kosmographischen Zeit. 
Die richtige Zeichnung war nur möglich, als man mit der Schiffahrt nicht mehr an 
der Küste klebte, sondern das Mittelmeer in unzähligen Fahrten überquert und durch 
kreuzt hatte. Man denke hierbei doch auch an den kleinen Maßstab der Karten. 
Wo man in der Hauptsache bei der Zeichnung der Karte nur auf die Angaben der 
Küstenfahrt angewiesen war, stellten sich ungewollt große Fehler in der Wiedergabe 
der Lage ein. Die Entfernungen wurden großenteils mehr unterschätzt als über 
schätzt. So sehen wir und ist auch von andern, wie von H. Wagner, W. Behrmann usw., 
bemerkt worden, daß die Küsten der atlantischen Gestade Europas bei weitem nicht 
so gut wiedergegeben werden als die der mediterranen Küsten. In der Regel erscheinen 
die Westküsten Europas in nordsüdlicher Richtung verkürzt, was eben in der oben 
1 d’Avezac: Aperçus historiques sur la boussole. Bull, de la Soc. de Géogr., XIX. 4. série. 
Paris 1860, S. 355. 
2 O. Peschei: Gesch. d. Erdkunde. 2. Aufl. v. S. Ruge. München 1877, S. 216. 
3 A. Breusing, a. a. O., S. 185.
	        
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