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Die Kriegskartographie.
nullpunkts liegen. Der Richtungsfehler ist am größten, wenn die Schußrichtung
nach SO, SW, N0 oder NW verläuft, er ist am kleinsten für die Richtungen NS
und OW.
Die rechtwinkligen Soldnerschen Koordinaten erlauben also im Vergleich zur
Bonneschen Projektion eine bedeutendere Ausdehnung der Erdabbildung ohne große
Einbuße der Längen und Richtungen, sind also für das artilleristische Schießen gut.
Bei den verschiedenen Lokalsystemen ist darauf geachtet worden, den Koordi
natennullpunkt möglichst in die Mitte des aufzunehmenden Armeegebietes zu
legen. Der im Koordinatennullpunkt astronomisch bestimmte Meridian wird
als «-Achse gewählt und senkrecht hierzu die y-Achse.
Die vielen Koordinatensysteme (Verdun, Pont Faverger, Reims, Laon, Lille)
sind dem deutschen Kriegsvermessungswesen als ein Fehler sowohl von deutscher
wie von englischer Seite vorgeworfen worden. Es soll nicht geleugnet werden, daß
der Wechsel von einem Koordinatensystem zum andern von der Artillerie in den Grenz
gebieten der Armeen unangenehm empfunden wurde. Nachdem aber die Artillerie
offiziere überzeugt worden waren, daß das Schießen durch den Wechsel wenig beeinflußt
wird, daß selbst bei entfernten Objekten für weittragende Geschütze mit einem Fehler
zu rechnen ist, der noch innerhalb des Streuungsbereiches der Geschütze lag, fand
man sich mit dem wenig schönen Zusammenschluß der Koordinatensysteme so gut
wie es eben ging ab.
Die Österreicher hatten eine große Anzahl kleiner Koordinatensysteme geschaffen 1 ,
jedes von 88 km westöstlicher und 28 km nordsüdlicher Ausdehnung, was öster-
reichischerseits auch für andere Fronten befürwortet wurde. Dadurch wurde jedoch ein
ganz unerträglich häufiger Übergang von einem System zum andern nötig. An einem
Frontabschnitt von 100 km Länge gebrauchte man mindestens 8, unter Umständen
5 Teilsysteme, womit die Herstellung von Batterieplänen für weittragende Geschütze
auf große Schwierigkeiten stieß. Da leistete das Koordinatensystem nach Soldner
wesentlich mehr als das österreichische. Wenn aber das Soldnersche System aufgegeben
werden sollte, durfte dies nur im Umtausch gegen ein überlegeneres System geschehen,
und dieses lag vor in dem konformen Gaussschen Koordinatensystem, von
dem nachgewiesen worden ist, daß es weit zweckdienlicher für die gesamte Vermessung
ist als die bisher bei der Landesaufnahme angewandten Koordinatensysteme (nach
Soldner).
Bisher hatte es an einem zwingenden Grund gefehlt, die Gaussschen Koordinaten
in der von L. Krüger gegebenen Form, darum auch Gauss-Krügersche Koordi
naten genannt, einzuführen. 2 Die neuen Forderungen an Kriegskarten, vorzugsweise
an das artilleristische Planmaterial für weittragende Geschütze, haben für Deutsch
land in hervorragender Weise den Boden für die neuen Koordinaten vorbereitet. Der
Vorschlag, die im Kriegsgelände üblichen Koordinaten in die neuen umzuwandeln,
kam leider zu spät; im übrigen gab es 1918 keine Mittel und Kräfte zu dieser Arbeit.
Auch würden sich die Generalstabschefs der einzelnen Armeen sehr gewehrt haben,
wenn auf einmal das Koordinatensystem und damit das Kartenmaterial, auf dem ein
1 Herstellung artilleristischen Planmaterials. Kommando des k. k. Kriegsvermessungswesens.
Wien 1917. — Darin werden 7 rechtwinklige, ebene Koordinationssysteme genannt: 1. a) Nieder
österreich, b) Mähren und Schlesien; c) Dalmatien. 2. a) Oberösterreich und Salzburg, b) Böhmen.
3. Steiermark. 4. Kärnten, Krain und Küstenland. 5. Tirol und Vorarlberg. 6. Galizien. 7. Bukowina.
2 M. Eckert, Die Kartenwissenschaft I, S. 183, 184.