Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

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Die Kriegskartographie. 
Bei den sieh schnell entwickelnden Flieger-, Ballon- und andern Beobachtungen 
war es ausgeschlossen, sich direkt auf den Feind einzuschießen. Der Artillerist mußte 
lernen, indirekt, d. h. direkt nach der Karte zu schießen. Dieses Planschießen war 
ihm zunächst etwas Ungewohntes und Unbequemes. Doch mußte auch das überwunden 
werden, und er schloß sich enger an den Artillerietrigonometer oder an die Vermessungs 
abteilung an, wodurch er die sichere Ortsbestimmung (Lage der eigenen Batterie im 
Gelände) und sichere Zielbestimmung erhielt. Auch Ludendorff bringt dies in seinen 
,,Kriegserinnerungen“ zum Ausdruck (s. weiter unten). Bei den Eisenbahn 
geschützen und den Ferngeschützen (mit dem Ziel: Festung Paris) waren lediglich 
die Vermessungsabteilungen bei der Arbeit. Für beide Geschützarten habe ich teils 
aus eigenem Antrieb teils im Aufträge des Kriegsvermessungschefs Dienst- und Ge 
brauchsanweisungen ausgearbeitet, die sich auch bewährt haben, denn eine zweite 
(und verbesserte) Auflage der Vorschriften für das Einmessen der Eisenbahngeschütze 
war schon nach fünf Monaten fällig. Wie die Wirkung der Ferngeschütze in Paris 
war, illustriert beigegebenes Planbild (Tafel II), das der französischen Zeitschrift 
rillustration entnommen ist. 1 Es dürfte jedem klar sein, daß ein Schießen mit Flieger 
beobachtung hierbei unmöglich war. Die Ferngeschütze nannte man in Paris „Les 
Berthas“, obwohl die ,,dicke Bertha“ unser schwerstes Mörser-, Belagerungsgeschütz 
war. Die Wirkung der Beschießung aus Luftfahrzeugen und aus Ferngeschützen hat 
zweifellos auf die Stimmung der Bevölkerung, auf die Arbeitsfähigkeit, auf den ganzen 
Handel und Wandel der Hauptstadt einen schwer niederdrückenden Einfluß ausgeübt. 
Wenn daher das Pariser Blatt behauptet, die Bevölkerung hätte mit einer gewissen 
Gemütsruhe und Vergnügtheit der Beschießung entgegengesehen und auch die schweren 
Zeiten später mit Gleichmut ertragen, ist das die übliche französische Phrase, die jedem 
Menschenkenner nur ein Lächeln abnötigt. Wie mir — natürlich ohne mich zu kennen — 
ein französischer Hauptmann auf der Eisenbahnfahrt von Köln nach Aachen ver 
sicherte, hätten die Ferngeschütze in Paris eine riesige Wirkung gehabt; sie sei nicht 
bloß eine moralische gewesen, sondern mehr noch eine verderbenbringende 2 ; auf 
jeden Fall wäre die Beschießung von Paris aus Ferngeschützen das gewesen, was dem 
französischen Offizier am meisten imponiert hätte. 
Da beim modernen Schießen nicht bloß die Entfernung — sagen wir dafür mit 
Lips genauer: Kartenentfernung, Seitenrichtung und Höhenunterschied 3 —, die Ein- 
schießung und Festlegung, Licht- und Schattenmessung, sondern vor allem auch die 
Wit terungseinflösse zu berücksichtigen sind, hat sich eine neues Schießverfahren 
1 Von der Wiedergabe der Karte in der deutschen Zeitschrift „Motor“, Januar-Februar-Heft, 
Berlin 1919, scheint man in weitern Kreisen wenig Notiz genommen zu haben. 
- Das deckt sich ganz mit dem Bericht in der Illustration. Da heißt es, daß die Granaten aus 
den Ferngeschützen einen verhältnismäßig geringen Materialschaden erzielt hätten, dagegen zahl 
reiche Opfer: 25(j Tote und 620 Verwundete. Die stärkste Beschießung für - einen Tag ergab 22 Schuß 
mit 11 Toten und 34 Verwundeten. Das erste Geschoß fiel am 23. März 1918 und das letzte am 9. August 
1918. Man hatte weder einen Blindgänger, noch genügend große Bruchstücke gefunden, um die Form 
mit Sicherheit festzustellen. Ferngeschütze haben abgefeuert: 303 Geschosse, wodurch 256 Tote und 
620 Verwundete; die Flugzeuge und Zeppeline haben abgeworfen: 746 Bomben, wodurch 266 Menschen 
getötet und 603 verwundet wurden. Der Materialschaden der Ferngeschütze war nicht so groß als 
der der zahlreichen Luftangriffe, dagegen die Opfer an Menschenleben bedeutend größer, besonders 
auffä.lig bei der kurzen Zeit der Betätigung. 
3 Lips: Das Kriegsvermessungswesen in der Literatur. Allg. Vermessungs-Nachr. XXXIII. 
Liebenwerda 1921, S. 613.
	        
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