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Die See- und Meerkarte.
im alten Kulturkreis des Mittelmeers, wo wiederum die Pyrenäenhalbinsel die größte
Anwartschaft hat, der Hort der mathematischen Ideen von den Loxodromen und
der Projektion mit den wachsenden Breiten zu sein. Die Untersuchungen H. Wagners
über die ersten Loxodromen auf Karten haben sich eingehender mit Pedro Nunes
(span. Nunez, lat. Nonius) beschäftigt. Wie aber Wagner schon auf die schwache
Möglichkeit der Benutzung von Nonius’ Werken, dessen erste Duos tratados da carta
de marear, die dem Werke Tratado da sphera, Lisboa 1537, einverleibt sind, durch
Mercator nachgewiesen hat, wird es mir zu immer größerer Gewißheit, daß noch
über Nonius hinaus die Quellen zu suchen sind, etwa am Ende des 15. Jahrhunderts.
In den maßgebenden Kreisen Spaniens pulsierte Ende des 15. und Anfang des
16. Jahrhunderts ein wissenschaftliches Leben, von dem wir uns heute schwer noch
eine Vorstellung machen können. Es gehörte geradezu zum guten Ton der Gesell
schaft, sich mit mathematischen Problemen zu beschäftigen. Unzählige Geistes-
strömungen sind von da aus nach dem übrigen Europa geflossen, insonderheit nach
Paris. Aber nach der Gepflogenheit der damaligen Zeitgenossen, selbst der Gelehrten,
wurden die Quellen, aus denen man Anregungen und Leben geschöpft hatte, meistens
mit Stillschweigen übergangen. Von der Pariser Sorbonne ist dies beispielsweise
bekannt. Die iUifhellung jener Kulturperiode ist noch ein Desiderat in der Geschichte
der Wissenschaften, obgleich von spanischer Seite schon ein energischer Vorstoß
gemacht wurde. 1 Leider sind die Anregungen von Acisclo Fernandez Vallin nicht
allgemeiner gewürdigt und auf ihre Stichhaltigkeit geprüft worden. Sie weisen auf
die vielerlei Wissenschaftszweige des 16. und 17. Jahrhunderts hin, die in ihrem
Ursprung auf spanische Quellen hindeuten. Alonso di Santa Cruz wie sein Schüler
Cortez sind in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Projektion (Kegelprojektion)
uns noch näher zu bringen, desgleichen Nebrija, ein Lehrer an der Universität Sala-
manca, dessen Werk ,,In cosmographiae libros introductorium multo quam antea
catigatius“ seinerzeit berechtigtes Aufsehen erregt haben muß.
Das Werk des Aelii Antonii Nebrissensis oder Nebrija, wie er kurz nach
seinem Geburtsort genannt wird, ist spanisch 1490 veröffentlicht worden. 1533
erschien in Paris eine lateinische Übersetzung. 1 2 Diese allein war mir zur Hand. Sie
scheint dem Original gegenüber gekürzt zu sein. Offenbar fehlen Tabellen, des
gleichen die Zeichnungen, auf die sich die Werte und Buchstabenbezeichnungen des
sechsten Kapitels beziehen. Leider gibt mir das Werk noch nicht den Aufschluß,
den ich gern erwartet hätte. Immerhin bringt es mich einen Schritt näher in der
Erklärung der Arbeitsweise Mercators. Das wichtigste Kapitel für kartographische
Zwecke ist das fünfte ,,De proportione parallelorum inter se“. Die Erstreckung bzw.
Größe verschiedener Breitenparallelen wird mit der des Äquators, der hier „aequi-
noctiolis“ genannt wird, verglichen und zahlenmäßig bestimmt; mit andern Worten:
1 Vgl. Acisclo Fernandez Vallin: Discursos leidos ante la Real Academia de Ciencias.
7. Jan. 1894. — Den Hinweis auf Vallin verdanke ich P. Gast.
2 Nebrijas Werk findet sich außerordentlich selten; in Deutschl. 1 Ex. i. d. K. Bi. Dresden,
in Frankr. 1 Ex. i. d. Nat. Bi. Paris. — Die einzelnen Kapitel des Werkes, das nicht umfangreich
ist, sind überschrieben: I. Superficiem terrae et aquae mundo concentricam esse. II. De circulis
sphaerae huic negotio necessariis. III. De ventorum positione. IV. Quantum cuique parti coeli in
terra respondeat. V. De proportione parallelorum inter se. VI. De mensuris quibus Cosmographi
utuntur. VII. Descriptio terrae in plano ex Ptolemaeo. VIII. Quomodo habitabilis nostra designanta
sit in Sphaera. IX. De diversitate horarum diei ex declinatione ab aequinoctiali. X. De cocabulis
quibus Cosmographie utuntur.