Full text: Vorlesungen über die Natur der Irrationalzahlen

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Erste Vorlesung 
Wissenschaft gilt, entspräche es wenig, wenn wir ihre funda 
mentalsten Begriffe auf Axiome, wie die erste, weder erwiesene 
noch überhaupt nachweisbare Annahme es wäre, begründen 
würden. Wir stellen uns daher auf einen anderen Standpunkt, 
den zuerst Heine eingenommen hat.*) 
Wir stellen in der That die Definition auf: Die 
beiden gegen einander convergirenden Zahlenreihen 
(7) bestimmen mit einander eine Zahl oder es ent 
spreche ihnen eine Zahl z. Aber wir ziehen nicht, um sie 
vorzustellen, den Begriff der Grenze zu Hilfe, sondern fassen 
sie — zunächst ganz mit Heine — rein formell als ein 
Zahlzeichen, indem wir darunter das Symbol 
verstehen, auf. Um diesen allgemeineren Zahlenbegriff in 
Verbindung zu bringen mit dem gewohnten Begriffe der ratio 
nalen Zahlen, setzen wir ferner fest, dass, so oft eine 
rationale Zahl z vorhanden ist, welche stets zwischen a¿, b¿ 
enthalten bleibt und daher als gemeinsamer Grenzwerth beider 
Reihen aufgefasst werden darf, diese Zahl unter dem Sym 
bole (8) verstanden werden soll. Und endlich nennen 
wir die durch das Symbol (8) definirte Zahl z allgemein den 
gemeinsamen Grenzwertli der zwei gegen einander con 
vergirenden Zahlenreihen (7). — Sonach hätten wir die all 
gemeineren Zahlen nach Heine’s Vorgänge lediglich als 
Zahlzeichen definirt. Wollen wir aber diesen formellen 
Zeichen auch einen realen Sinn untergelegt sehen, so können 
die rationalen Zahlen uns dazu führen. Eine solche, —, tritt 
zunächst auch nur als ein Symbol oder als ein Zahlzeichen 
auf, durch welches die rationale Zahl als den Zahlen m, n 
entsprechend bezeichnet wird; es bedeutet aber sodann das 
Resultat einer Reihe von Operationen, welche an der Einheit 
vollzogen werden sollen, und enthält demnach in sich den 
Ausdruck einer ganz bestimmten Forderung, ohne 
Rücksicht übrigens darauf, ob oder wie diese Forderung that- 
*) A. a. 0.; aus der Einleitung seiner Arbeit ist ersichtlich, dass 
die Priorität für seine Auffassung im Grunde Herrn G. Cantor zukommt.
	        
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