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Zweites Kapitel.
durch den unermüdlichen und vortrefflichen Gerb er t, den „re
parator studiorum“ (derselbe wurde in der ersten Hälfte des
10. Jahrhunderts zu Aurillac in der Auvergne geboren, über
nahm nach einer Studienreise in die spanische Mark eine Lehrer
stelle an der Klosterschule zu Rheims und bestieg im Jahre
999 den päpstlichen Stuhl unter dem Namen Sylvester II.; er
starb im Jahre 1003) begannen, wenn auch zunächst nur sehr
langsam, die mathematischen Studien wieder aufzublühen. Bald
nach seinem Tode begegnen wir auch zum ersten Male auf
christlichem Boden dem Probleme von der Quadratur des Zir
kels: Franco von Lüttich verfafste (zwischen 1036 und 1055)
ein dem Erzbischöfe Hermann II. von Köln gewidmetes Werk
in 6 Büchern über die Quadratur des Zirkels, welches Werk
neuerdings von Winterberg herausgegeben worden ist*).
Regeres Leben entfaltete sich im zwölften und dreizehnten
Jahrhundert, als die Vertreter der lateinischen Bildung an-
iingen, die hohen Schulen von Toledo, Sevilla, Cordova und
Granada zu besuchen, um die griechischen Klassiker kennen
zu lernen und sie aus dem Arabischen in das Lateinische zu
übertragen. So übersetzte, um nur einiges herauszugreifen,
Gerhard von Cremona im Jahre 1175 den Almagest und die
Algebra des Alchwarizmi, Atelhart von Bath die Elemente
des Euklid sowie die astronomischen Werke Alchwarizmi’s,
Plato von Tivoli die Werke des Albattäni u. s. w. Die
Übersetzung Albattäni’s durch Plato von Tivoli ist noch da
durch von besonderem Interesse, dafs in derselben zum ersten
Male das Wort sinus im trigonometrischen Sinne vorkommt.
Die Erklärung für diesen Ausdruck ist folgende. Bei den Indern
wurde die Seime eines Bogens jyä oder jiva genannt, welche
beiden Wörter auch die Sehne eines zum Schiefsen bestimmten
Bogens bezeichnen. Die halbe Sehne, d. h. die Linie, welche
später als sinus bezeichnet wurde, nannten sie dementsprechend
jyärdha oder ardhajyä. Da aber, wie wir wissen, die Lider
überhaupt nur mit der halben Sehne rechneten, so benutzte
man der Kürze halber allmählich auch für diese das Wort jiva,
welches dann auf die Araber überging und von diesen, seinem
*) Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik (1882).