150
Sechster Abschnitt.
Die Dauer des Phänomens muss also aus beiden Gründen
für den Punkt a eine kürzere sein als für den Punkt h, und
bei dem langsamen Portrücken der Yenus auf der Sonnen
scheibe (das ganze Phänomen währt gegen 7 Stunden) muss
selbst eine sehr kleine Verschiedenheit der Richtungslinien
(denn dass nur auf eine solche zu rechnen sei, wusste man)
doch eine merkliche Differenz in der Zeit bewirken. In der
That war der Unterschied der Dauer bei den beiden am gün
stigsten gelegenen Beobachtungsörtern während des letzten
Durchganges 22 1 j 2 Minute Zeit. — Aus diesen Unterschieden
kann man nun rückwärts auf den Unterschied der Richtungs
linien, also auf die Parallaxe in Beziehung auf die Oerter a
und h schliessen, und da deren Lage auf der Erde selbst be
kannt ist, auch auf die eigentlich sogenannte, sich auf den
Halbmesser beziehende Parallaxe.
Die Methede giebt, genau gesprochen, weder die Sonnen-
noch die Yenusparallaxe selbst, sondern den Unterschied beider,
allein da die relativen Entfernungen bekannt sind, so wird man
auch die Sonnenparallaxe finden können, sobald jener Unter
schied gefunden ist.
Da Alles darauf ankam, möglichst weit entlegene Punkte
der Erde zu Beobachtungsstationen zu wählen, so begnügte
man sich nicht mit den vorhandenen Sternwarten, die da
mals fast nur in Mitteleuropa zu finden waren. Vielmehr
scheuten Könige keine Kosten und die Astronomen keine Be
schwerden, um keinen wichtigen Punkt unbenutzt zu lassen,
denn eine Yersäumniss hierin wäre für Jahrhunderte unersetz
lich gewesen. Im tiefen Sibirien, an der Hudsonsbai, in Cali-
fornien, auf Otaheiti, am europäischen Kordcap und vielen
andern Orten ward beobachtet. 1761 gelangen an vielen Orten
die Beobachtungen gar nicht und andern nur dürftig; 1769
hingegen war man glücklicher. Encke hat die damaligen Beob
achtungen einer neuen und völlig scharfen Rechnung unter
worfen und findet die Parallaxe der Sonne 8 /y ,5774 mit einer
Unsicherheit von 0",037; eine spätere Verbesserung eines
der Data (durch Wiederauffindung des Originaltagebuches HeWs,
der auf Wardoehuss beobachtete) setzte sie auf 8",57116, und
mit dieser letztem Zahl sind die numerischen Angaben in die
sem Werke berechnet.
Die nächsten Durchgänge 1874 und 1882 geben wenig
Hoffnung, die Parallaxe schärfer zu erhalten: man müsste Orte
in der Nähe des Südpols und auf sehr verschiedenen Meridia
nen wählen, was grosse Schwierigkeiten haben dürfte. (Es
sind aber die Expeditionen des Venus-Durchgangs vom Jahre
1874, an denen sich alle grösseren Staaten betheiligten, in
ganz auffallender Weise vom Wetter begünstigt worden.)