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Zehnter Abschnitt.
schliessende, die äussersten Fernen bezeichnende Gürtel gewiss
noch eine beträchtlich grössere hat, die nach Zehn- und
vielleicht Hunderttausenden von Jahren zu bemessen ist,
so erblicken wir in der Milchstrasse nicht ihren jetzigen,
sondern in ihren früheren, gleichsam vorweltlichen chaotischen
Zustand. Die einzelnen Körper könnten jetzt schon Jahr
tausende lang fertig, die formlose Masse ganz verschwunden
sein, aber der Lichtstrahl von ihnen ist noch unterwegs,
und wird erst unsern späten Nachkommen erglänzen, während
unsere Ferngläser nur Strahlen empfangen, die längst vor dem
Beginn des Menschengeschlechts ihre ungeheure Laufbahn
begonnen hatten.
Es ist keines Sterblichen Sache, in dieser grossen Ange
legenheit einen entschiedenen Spruch zu thun. Wo keine
unserer Messruthen den Raum, keine Geschichte die Zeit
mehr zu umfassen vermag, wo unsere Erde nicht allein, son
dern auch die Sonne, ja ihr ganzes System zum unscheinbaren,
nichts bedeutenden Punkte zusammenschrumpft, da muss aller
dings der Phantasie ein Spielraum gestattet werden. Nur die
Bemerkung mögen wir noch hinzufügen, dass die unregel
mässige Gestallt der Milchstrasse dieser letzteren Ansicht
nicht ganz günstig ist, insofern man das Newton'sehe Gesetz
als allgemein gültig betrachtet. Nur feste Körper ver
mögen sich in jeder Gestalt zu erhalten, und Sternhaufen
können eine Form haben, welche sie wollen. Aber das Gleich
gewicht incohärenter Massen ist durch eine sphärische,
oder doch symmetrisch regelmässige, Gestalt bedingt, die
sich herstellen muss, wenn sie Anfangs noch nicht vor
handen war. Wenn nun bis jetzt die Beobachtungen noch
keine Veränderung in den einzelnen Theilen wie im Ganzen
der Milchstrasse haben wahrnehmen lassen, so kann dies
allerdings bei der Kürze der Zeit, welche unsere genauem
Beobachtungen umfassen, kein entscheidendes Argument gegen
jene Meinung abgeben. So lange indess jedes stärkere
Fernrohr weitere Fortschritte in der Auflösung der Milch
strasse macht, die Zahl der einzeln unterscheidbaren Sterne
vermehrt und die noch übrig bleibende Nebelmasse verdünnt
und schwächt, wird auch die erstere Meinung, wie Herschel
sie aufgestellt hat, immer mehr an Wahrscheinlichkeit ge
winnen. Es mag noch bemerkt werden, dass auch nach
vollständig gelungener Auflösung ein Raum, auf welchem so
viele Tausende von Sternen aller Grössen im dichtesten
Gedränge stehen, wohl nie ganz so dunkel als der übrige Him-
melsraum erscheinen kann, selbst wenn gar keine physische Ma
terie zwischen und hinter diesen einzelnen Sternen sich befände.