Sechster Abschnitt. Anwendung der Differential-Rechnung u. s. w. 523
gente MT berührenden Normalschnittes, so ist dem Satze von
Meusnier zufolge (198)
q = R cos 6 ;
daher hat man schliesslich
arc M'MM" — 2 c -\-
12iü 2 cos 2 6
Der Bogen M'MM” ist also am kleinsten, wenn 0 = 0
ist, wenn er also dem durch die Tangente MT gelegten Nor
malschnitte angehört. Dies bleibt fortbestehen, wie klein auch
die Sehne c, wie nahe auch die Punkte M', M" an M liegen;
da nun die auf der Fläche ■ verzeichnete Linie als die kürzeste
vorausgesetzt worden ist, so folgt daraus, dass die Grenzlage
der Ebene, welche durch M und zwei benachbarte Punkte
dieser Linie gelegt wird, die durch die Tangente in M gehende
Normal ebene ist. Diese Grenzlage ist aber die Osculations-
ebene der Curve in M- mithin geht bei der kürzesten Linie
die Osculationsebene in jedem Punkte durch die Normale der
Fläche, und damit ist sie als geodätische Linie erwiesen.
Daraus können mehrere wichtige Folgerungen gezogen
werden.
Enthält eine Fläche gerade Linien, so gehören sie zu den
geodätischen Linien der Fläche, weil sie kürzeste Linien zwischen
je zweien ihrer Punkte sind. Bei einer Regelfläche gehören
also die geradlinigen Erzeugenden zu den geodätischen Linien.
Jede geodätische Linie einer abwickelbaren Fläche erscheint
in der Abwicklung als gerade Linie.
In dem vorigen Artikel ist die Thatsache festgestellt worden,
dass eine Raumcurve auf ihrer rectiflcirenden Developpabeln,
d. i. auf jener Fläche, welche die Ebenen durch Tangente und
Binormale einhüllt, die Rolle einer geodätischen Linie hat;
daher erscheint die Raumcurve in der Abwicklung dieser
Developpabeln als Gerade, und hierin liegt der Grund für den
Namen „rectificirende Developpable“.
Die Umkehrung des an der Spitze dieses Artikels stehen
den Satzes ist aber nicht immer zutreffend; eine geodätische
Linie zwischen zwei Punkten A, B braucht nicht auch die
kürzeste Linie zwischen diesen Punkten zu sein. Einfache
Beispiele hiefür bieten die Kugel und der Cylinder. Die