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Erster Teil. Differential-Rechnung.
§ 5. Die Länge eines Kurvenbogens und das
Bogendifferential.
150. Definition der Länge eines Kurvenbogens.
Der Begriff der Länge eines Kurvenbogens gründet sieb auf die
Vorstellung, daß es möglich sei, einem biegsamen nicht dehn
baren Faden die Form des Bogens zu geben und ihn dann
auszuspannen; in diesem Zustande gestattet er die Vergleichung
mit einer Längeneinheit, was zur Bestimmung seiner Länge
führt; diese Länge wird auch als Länge des Bogen erklärt.
Diese Vorstellung läßt sich aber nicht analytisch ver
werten. Um daher den Begriff der analytischen Behandlung-
zugänglich zu machen, bedarf er einer von jener Vorstellung
unabhängigen Definition, die aber notwendig zu der allein
direkt ausführbaren Messung gerader Linien zurückleiten muß.
Wir formulieren diese Definition folgendermaßen:
Ein Kurvenbogen besitzt dann eine Länge, wenn die Länge
eines von dem einen Endpunkte des Bogens zum anderen ver
laufenden Sehnenzuges einem bestimmten Grenzwerte sich nähert,
sobald die Zahl der Seiten dieses Zuges beständig wächst und
jede einzelne Seite der Grenze Null zustrebt; dieser Grenzwert
soll als Länge des Kurvenbogens erklärt 'werden.
Der Nachweis, daß der Grenzwert besteht, sobald gewisse
Bedingungen erfüllt sind, fällt in das Gebiet der Integral
rechnung. Wir nehmen für die Kurven, welche wir in Betracht
ziehen werden, diesen Grenzwert als vorhanden an.
151. Das Bogendifferential
Koordinaten. Es sei
(1)
V = f( x )
in rechtwinkligen
die Gleichung einer gegebenen, auf
rechtwinklige Koordinaten bezogenen
Kurve MC (Fig. 66); die Länge s des
Bogens M 0 M, welcher von einem festen
Punkte M 0 und einem variablen Punkte
M mit der Abszisse x begrenzt wird,
ist eine eindeutige Funktion von x: