216
Zweiter Teil. Integral-Rechnung.
Ihren höchsten Ausdruck findet diese Tatsache in dem
Satze, daß es möglich ist, jede eindeutig definierte Funktion f{x),
sofern sie nur gewissen Bedingungen genügt, die übrigens bei
allen in den Anwendungen der Analysis auf naturwissenschaft
liche und technische Probleme bisher gebrauchten Funktionen
erfüllt sind, in eine nach den Sinus und Kosinus der Vielfachen
von x fortschreitende unendliche Reihe zu entwickeln, also in der
Form
f{x) — & 0 + \ cos x + l) 2 cos 2 x + h 3 cos 3 x -f • • •
-f- a t sin x + a 2 sin 2 x + a 3 sin 3 x -f • • •
darzustellen.
Man nennt eine derartige Reihe eine trigonometrische und
in der Ausführung, die ihr im Nachfolgenden gegeben werden
wird, eine Fouri ersehe Reihe. Diese letztere Bezeichnung ist
dadurch gerechtfertigt, daß Fourier als erster die Behauptung
aufgestellt hat, jede willkürliche Funktion lasse eine solche
Entwicklung zu*).
Die Reihe auf der rechten Seite von (1) ist periodisch
und hat die Periode 2 7t. Danach möchte es scheinen, als ob
der Ansatz nur für Funktionen eben dieser Eigenschaft gelte.
Indessen liegt das Problem so, daß die Punktion f(x), in einem
Intervall (0, c) oder (— c, c) eindeutig definiert, in diesem In
tervall durch eine Fouri ersehe Reihe darzustellen ist. Man
wird dann den trigonometrischen Funktionen im ersten Falle
statt x das Argument 2 ^, im zweiten Falle das Argument
geben; denn ~~ durchläuft das Intervall (0, 2 n), während
x von 0 bis c geht, und das Intervall (— it, %), während
x sich von — c bis c ändert. Außerhalb des betreffenden In
tervalles liefert die Reihe eine periodische Wiederholung dessen,
was sie in dem Intervall selbst ergab.
*) Mém. de l’Acad. de Paris, 1807; weitergehende Betrachtungen
über den Gegenstand finden sich in seiner Theorie analyt. de la chaleur,
1822. Vor ihm war Euler an die Frage herangetreten. Die Feststellung
der Bedingungen, unter welchen eine Funktion in eine Fouriersche Reihe
entwickelbar ist, gab zuerst Dirichlet, Journ. von Grelle, Bd. 4 (1829).