LXV.
Ans Briefen an R. Lipschitz.
Braunschweig, 29 April 1876.
Sie haben mir durch Ihren Brief eine sehr große und zugleich
sehr unverhoffte Freude gemacht, da ich seit einigen Jahren so ziem
lich die Hoffnung aufgegeben hatte, daß meine Darstellung und Auf
fassung einer allgemeinen Theorie der Ideale in jetziger Zeit noch
irgend Jemand außer mir interessiren würde. Mit Ausnahme des
Prof. H. Weber in Königsberg, der als Herausgeber der demnächst
erscheinenden gesammelten Werke Riemann’s in einen nahen Ver
kehr mit mir getreten ist und mir neulich, wohl durch diesen Umstand
veranlaßt, seine Absicht zu erkennen gegeben hat, sich mit dieser
Theorie zu beschäftigen, sind Sie der erste, der nicht blos ein Inter
esse an dem Gegenstände äußert, sondern dasselbe auch in so prak
tischer Weise bethätigt, daß ich daraus die Hoffnung schöpfe, nicht
ganz vergeblich gearbeitet zu haben. Ich hatte geglaubt, daß die
Aufnahme dieser Untersuchung in Dirichlet’s Zahlentheorie das
sicherste Mittel wäre, um einen größeren Kreis von Mathematikern
für die Bearbeitung dieses Feldes zu gewinnen, allein ich habe mich
nach und nach davon überzeugt, daß die Darstellung selbst wohl die
Schuld an dem Mißlingen dieses Planes trägt. Ich muß vermuthen,
daß die Darstellung durch übertriebene Kürze und Gedrängtheit die
Leser abgeschreckt hat, und ich habe daher seit dem Herbst meine
freie Zeit, die ich durch Niederlegung meines dreijährigen Direc-
torats des hiesigen Polytechnikums gewonnen habe, dazu benutzt, eine
ausführlichere Darstellung der Theorie der Ideale auszuarbeiten, mit
welcher ich auch so weit gekommen bin, daß die eigentliche Grundlage
(der Inhalt des § 163) in einer etwas verbesserten Form gewonnen
ist. Die Änderung ist indessen keine wesentliche, und ich glaube
auch, daß eine solche, wenigstens bei dem von mir eingeschlagenen
Wege, gar nicht möglich ist; die Schwierigkeiten, die ich bei der