Full text: Abhandlungen (1888 - 1902) und Reden (3. Band)

REDE AM 3. AUGUST 1900. 
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repräsentiren, während die sogenannten imaginären Grössen im Stande sind, 
die Lage der Punkte der ganzen Ebene zu bestimmen. Der Schritt von den 
realen Grössen zu den sogenannten imaginären erschien nicht gewagter als 
der von den ganzen Zahlen zu den Brüchen, yon den rationalen Zahlen zu 
den irrationalen u. s. w. Da der Name imaginäre Grössen viel zur Ver 
wirrung der Begriffe beiträgt, so ist für diese Grössen allgemein die Be 
zeichnung complexe Grössen angenommen worden. 
Wenngleich Gauss in seinen Schriften zahlreiche Belege dafür hinter 
lassen hat, dass er über die Principien der Mathematik tiefe philosophische 
Speculationen angestellt hat — so hat er sich beispielsweise bei Gelegenheit 
der Rechtfertigung der complexen Grössen nicht enthalten können, in einer 
Fussnote gegen einen von Kant herrührenden Beweis der Vorstellung, dass [6 
der Baum nur eine Form unserer äusseren Anschauung sei, Stellung zu 
nehmen — so ist er dennoch als ächter Mathematiker und Naturforscher für 
das Recht der complexen Grössen erst auf Grund der thatsächlichen Wahr 
nehmung eingetreten, dass diese Grössen ebenso unentbehrlich seien, wie die 
sogenannten realen, dass erst durch die Anwendung der ersteren gewisse Ge 
setze der Arithmetik einen allgemeinen Charakter gewinnen können. Es ist 
charakteristisch, dass Gauss gerade auf einem Gebiete die complexen Grössen 
zum Siege führen konnte, welches, wenn der Ausdruck erlaubt ist, das aller 
realste in der Mathematik ist, nämlich auf dem Gebiete der Zahlentheorie. 
Die schönen Reciprocitätsgesetze für die quadratischen Reste finden sich schon 
bei den biquadratischen Resten nicht mehr vor, solange man einseitig nur 
reale Zahlen zulässt; sie erstehen aber, wie Gauss entdeckt hat, in ihrem 
ganzen Umfange, sobald man complexe ganze Zahlen in den Zahlenkreis auf 
nimmt. 
Es ist hier am Platze eines Fortschrittes Erwähnung zu thun, welcher 
im XIX. Jahrhundert, nach dem Vorbilde des Vorgehens von Gauss auf dem 
Gebiete der biquadratischen Reste, zunächst in der Zahlentheorie gemacht 
worden ist. Die complexen ganzen Zahlen sind ganze ganzzahlige Functionen 
der vierten Wurzel der Einheit. Während das Gebiet dieser Zahlen insofern 
dem Gebiete der realen ganzen Zahlen gleichstand, dass dort wie hier die 
Primfactoren der Zahlen demselben Gebiete angehören wie diese, so zeigten 
die nach der Analogie gebildeten ganzen ganzzahligen Functionen einer be-
	        
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