REDE AM 3. AUGUST 1900.
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als wie die complexen nicht den sämmtlichen Rechnungsoperationen wie die
letzteren unterworfen werden können, so muss man auf diesen Versuch ver
zichten. Man muss vielmehr die Thatsache des beschränkten Werthbereiches
der Function als einen natürlichen Ausfluss des Grössenbegriffs hinnehmen.
In die Epoche, in welcher Gauss das Resultat seiner Reflexionen über
die complexen Grössen substantiirte, fällt die Entdeckung der Theorie der [n
elliptischen Functionen durch Abel und Jacobe Diese Functionen, welche
der Analysis des XIX. Jahrhunderts neue Perspectiven eröflheten, und seit
dem der Geometrie und Mechanik durch zahlreiche Anwendungen dienstbar
geworden sind, wären ohne Herbeiziehung der complexen Grössen in ihrem
innersten Kern unverständlich und einer Weiterentwickelung unfähig geblieben.
Während nämlich die trigonometrischen Functionen sich einer realen Periode
erfreuen — eine Eigenschaft, auf welcher die schönsten Anwendungen jener
Functionen beruhen —, wurde in den elliptischen Functionen ein Functions
gebiet erschlossen und zugleich zum Abschluss gebracht, welches mit zwei
Perioden begabt ist. Aber diese beiden Perioden sind so beschaffen, dass
ihr Yerhältniss durch eine sogenannte imaginäre Grösse dargestellt wird. Die
letztere Eigenschaft aber ist gerade das Fundament für die analytische Dar
stellung der elliptischen Functionen geworden, eine Darstellung, welche auch
die Anwendbarkeit dieser Functionen für das reale Sein bedingte.
Während Gauss das Verdienst zugesprochen werden muss, den complexen
Grössen ihr Bürgerrecht in dem Reiche der Grössen gesichert zu haben, ist
es dem grossen französischen Mathematiker Cauchy Vorbehalten geblieben,
die bis dahin nur geduldete complexe Grösse zur Herrscherin in der Analysis
zu erheben. Cauchy, unser Aller Lehrmeister in der Analysis, auf dessen
Schultern alle, welche bis jetzt nach ihm diesem Gebiete ihre Kräfte zuge
wendet, gestanden haben, begann in den zwanziger Jahren des XIX. Jahr
hunderts eine lange Reihe von Arbeiten, in welchen er zuerst die elementaren
Theile der Analysis, die bis dahin sich nur auf reale Werthe bezogen hatten,
auf der Basis der complexen Grössen neu begründete, um alsdann zur Aus
dehnung der in der Differential- und Integralrechnung verwendeten Vor- [12
Stellungen auf die complexen Veränderlichen fortzuschreiten. Auf diesem
Wege gelang es ihm, überall unverrückbare Fundamente für die ganze Ana
lysis festzulegen. Indem er so die ganze Machtfülle der complexen Grössen
Fuchs, matliem. Werke. in. 53