Full text: Abhandlungen (1888 - 1902) und Reden (3. Band)

REDE AM 3. AUGUST 1900. 
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unendlichen Mannigfaltigkeit hat man nun diejenigen Lösungen heraus 
zuschälen, welche die in einem bestimmten physikalischen Problem durch 
die Natur gegebenen Nebenbedingungen, wie Anfangszustände, Grenzbedin 
gungen, ünstetigkeitsbedingungen, erfüllen. Um jedoch zu erkennen, ob die 
diesen Bedingungen angepassten Lösungen der Differentialgleichung das wahre 
Naturgesetz darstellen, ist es erforderlich nachzuweisen, dass diese Lösungen 
auch die einzigen sind, welche den Nebenbedingungen genügen. Hier greifen 
nun die von Dirichlet am Potential entwickelten Principien ein und haben 
in vielen wichtigen Fällen auch schon zum Ziele geführt. 
In der Geschichte der Mathematik begegnen wir häufig der Thatsache, 
dass Gedanken, welche Probleme auf dem Gebiete der exacten Naturwissen 
schaften hervorgerufen, reiche Früchte für die mathematische Speculation ge 
tragen haben. Nirgendwo aber ist in einer kurzen Spanne Zeit die Ernte 
für die Mathematik reicher gewesen, als in dem Falle dieser DiRiCHLExschen 
Principien. Diese Ernte so schnell zur Eeife zu bringen, ist dem Genius 
von Eiemann gelungen, Eiemann, welcher zum Schmerze der mathematischen 
Welt der Wissenschaft in so frühem Alter entrissen worden, und welcher 
dennoch während seines kurzen Lebens durch Erweiterung der mathematischen 
Erkenntniss sich einen Platz in der Eeihe der grössten Mathematiker des 
Jahrhunderts gesichert hat. Auf der bekannten Thatsache fussend, dass die 
Bestandtheile jeder Function einer complexen Yariabeln einer und derselben 
partiellen Differentialgleichung genügen, legte er, sich an die DiRicHLETSchen 
Methoden anschliessend, den Grund zu einer neuen Auffassungsweise der 
Theorie der Functionen einer complexen Yariabeln. In dieser Auffassungs 
weise scheiden sich die Functionen von einander nach den Grenz- und [17 
Unstetigkeitsbedingungen, welchen sie einzeln unterliegen. Das Bemerkens 
wertheste an dieser Characteristik der Functionen ist die begriffliche Be 
stimmung derselben, losgelöst von ihrer Darstellbarkeit vermittelst analytischer 
Formeln. Yon den Eesultaten, welche Eiemann auf diesem Wege gefunden, 
will ich hier nur seiner bewundernswerthen Theorie der allgemeinen Abel- 
schen Functionen Erwähnung thun. Seine Methode machte es ihm möglich, 
diese Theorie auf wenigen Druckbogen zu entwickeln, während deren Aufbau 
auf dem Grunde der analytischen Form der algebraischen Functionen zu so 
grossen Weitläufigkeiten Anlass giebt. Es schmälert auch den Euhm Eie-
	        
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