Full text: [Nachträge zur reinen Mathematik] (10. Bandes 1. Abteilung)

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ANALYSIS. NACHLASS. 
specielle Erörterung ich hier mich nicht einlassen will, gehört auch der ver 
kehrte Gesichtspunkt, aus welchem man die jetzt sogenannten imaginären 
Grössen so lange betrachtet hat. Wir sehen dieselben zuerst unter dem 
Namen von unmöglichen Grössen auftreten bei denjenigen quadratischen Glei 
chungen, wo die Auflösung die Ausziehung der Quadratwurzel aus einer nega 
tiven Grösse erfordert. In so weit enthielt der Ausdruck, dass die Wurzeln 
der Gleichung unmöglich seien, eigentlich nichts weiter als eine Verneinung 
der Existenz von Wurzeln. Späterhin machte man die Bemerkung, dass auch 
bei algebraischen Gleichungen von hohem Graden in solchen Fällen, wo sie 
entweder gar nicht auflösbar waren oder wenigstens nicht eine ihrem Grade 
gemässe Anzahl von Wurzeln darboten, die Unauflösbarkeit oder Unvollzählig 
keit der Auflösungen immer nur von der Unmöglichkeit, aus einer negativen 
Grösse eine Quadratwurzel zu erhalten, abhing, und d’Alembert und Euler 
generalisirten diese Bemerkung (dem Wesen nach, wenn auch nicht in dieser 
klaren Ausdrucksweise) dahin, dass es nur der Zulassung einer fingirten Grösse 
\J— 1 bedürfe, um jeder entwickelten algebraischen Gleichung die ihrer Ord 
nungszahl gleiche Menge von Wurzeln zu verschaffen. Ein genügender strenger 
Beweis dies[es] wichtigsten Lehrsatzes in der Theorie der algebraischen Glei 
chungen ist zwar erst viel später gelungen; aber schon von jener Zeit an 
wurde es immer mehr üblich, die unschicklichen Benennungen von unmög 
lichen Grössen fahren zu lassen, und die jene fingirte \J — 1 involvirenden 
Grössen imaginäre zu nennen, im Gegensatz der reellen, unter denen man die 
Totalität aller positiven und negativen begriff. Seit der Zeit sind die ima 
ginären Grössen, wie eine besondere Gattung von Grössen, in den analytischen 
Calcul aufgenommen, und man hat sich wohl dabei gestanden, indem ihre 
Beihülfe sehr häufig auf eine überraschend leichte Art zu einem Ziele führt, 
welches ohne sie nur viel mühsamer sich erreichen lassen würde, oder indem 
ihre Zuziehung mancher mathematischen Lehre, die, wenn sie bloss auf das 
Gebiet der reellen Grössen beschränkt werden müsste, nur ungelenk und 
lückenhaft erscheinen würde, die schönste Abrundung gibt. 
Bei allem dem sind die imaginären Grössen, so lange ihre Grundlage 
immer nur in einer Fiction bestand, in der Mathematik nicht sowohl wie ein 
gebürgert, als viel mehr nur wie geduldet betrachtet, und weit davon ent 
fernt geblieben, mit den reellen Grössen auf gleiche Linie gestellt zu werden.
	        
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