GAUSS AN W. V. HUMBOLDT.
321
Unter diesen Verhältnissen möchte dasjenige, in welchem ich zu unserm
Gouvernement stehe, wol nicht so schwer zu lösen sein. Ich habe über das
selbe nicht zu klagen; erst vor kurzen hat es mir bei Gelegenheit einer andern
Vocation theils solche Verbesserungen, theils solche Zusicherungen gemacht,
dass ich, wenn letztre erst zur Ausführung gekommen sein würden, durch das,
was ich unmittelbar von Seiten der Regierung geniesse, noch etwa 100 besser
stehen würde, als in Berlin nach den gemachten Anerbietungen. Nehme ich
nun dazu, dass erstlich der Aufenthalt in Berlin gewiss kostspieliger ist als
der hier, und zweitens, dass mir hier von Anfang an ein sehr bedeutender
Witwengehalt (300 Cassemünze) zugesichert ist, der, im Fall ich mit Tode
abgehe ohne eine Witwe zu hinterlassen, auf meine noch unerwachsnen Kinder
übergeht: so würde ich es bei unsrer Regierung jetzt nicht gut verantworten
können [* [**) )], wenn ich darauf bestände, Gföttingen] zu verlassen, um mich in ge
wisser Rücksicht zu verschlechtern. Diese Schwierigkeiten würden sich aber nach
den Winken, die Sie mir gegeben haben, so wie zweitens bei der Langsamkeit,
mit der, wie ich fürchte, die oben angedeuteten Zusicherungen (Bau unsrer
neuen Sternwarte) in Erfüllung gehen werden, nach einiger Zeit wol heben
lassen, wo vielleicht eben diese Langsamkeit einen Theil meiner Rechtfertigung
ausmachen würde. Ich muss hinzusetzen, dass die praktisch-astronomischen
Beschäftigungen zwar einen ungemein hohen Reiz für mich haben, indess
immer nur einen viel geringem, als die theoretischen Arbeiten.
Eine zweite Schwierigkeit liegt in meinen persönlichen Familienverhält
nissen [ ## )]. Es ist mir peinlich, da Sie mich von Seiten meiner Denkart gar nicht
kennen, dass ich nicht weiss, ob Sie meiner Aufrichtigkeit glauben werden,
wenn ich versichere, dass nach aller menschlichen Wahrscheinlichkeit diese
Verhältnisse, die ich freilich nicht näher berühren kann, meiner Trennung
von Göttingen gar nicht absolut im Wege stehen, sondern vielmehr nach
einiger Zeit vielleicht gar dazu mitwirken werden. Es kann sein, dass dieser
Zeitpunkt sehr bald ein tritt; aber ich würde zu viel auf das Spiel setzen,
wenn ich schon jetzt die Entscheidung wagen wollte.
Bei dem hohen Reiz, den für mich persönlich die Lage in B[erlin] haben
[*) Die Handschrift hat könnte.]
[**) Gauss war damals mit Minna Waldeck, seiner nachmaligen zweiten Gattin, verlobt. Vergl.
Carl Friedrich Gauss und die Seinen, herausgegeb. von Heinrich Mack, Braunschweig 1927, S. 65ff.]
41
XII.