ZUR METAPHYSIK DER MATHEMATIK.
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sich als das Einfache ansehen lasse) so heisst das hier soviel, als Quotient
und Divisor lassen sich verwechseln; und ist folglich der Quotient und Divi
dendus gegeben, so findet man den Divisor durch völlig dieselbe Operation,
als wenn der Divisor und der Dividendus gegeben wäre. Daher sieht man,
dass, ungeachtet drei Combinationen möglich sind, dennoch nur zwei Rech
nungsarten entstehen.
BEMERKUNG.
Sartorius von Waltershausen bemerkt in seiner Schrift Gauss zum Gedächtniss (1856, S. so,
vergl. anch Werke VIII, Seite 2 6 7), Gauss habe sich in früherer Zeit, als er noch daran denken musste,
irgendwo als Lehrer der Mathematik aufzutreten, ein Papier ausgearbeitet, auf dem er die Anfänge der
Mathematik philosophisch entwickelt habe. Dieses Papier enthält (vergl. auch die Bemerkung von P. Stäckel,
Werke VIII, S. 2 68) die vorstehend abgedruckte Notiz, die man also auf eine recht frühe Zeit, etwa die
ersten Jahre des XIX. Jahrhunderts, zu datieren hätte*). In der Werke X l, S. 396 abgedruckten Aufzeichnung,
die aus den Jahren 1825—26 stammt, finden wir in gewissem Sinne eine Fortführung der Gedanken, die
in der vorstehenden älteren Notiz entwickelt werden, und dies zeigt die Zulässigkeit der gewählten Über
schrift. — Metaphysik bedeutet nämlich bei Gauss und überhaupt zu Gauss’ Zeit nicht etwa die Lehre vom
Übersinnlichen, sondern das innere Wesen, den Kern eines Gegenstandes, in dem Sinne wie es Goethe
meint, wenn er Faust sagen lässt »dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält«. So ver
stehen die Mathematiker des XVIII. Jahrhunderts unter der Metaphysik einer Beweisführung den Grund
gedanken, aus dem der Beweis geschöpft ist, und ähnlich spricht auch Gauss z. B. in dem Briefe an Bessel
vom 28. Febr. 1839 (Briefwechsel Nr. 176, S. 523) von der in der Theoria Motus angewandten Metaphysik für
die Methode der kleinsten Quadrate, in dem oben (Nr. l) abgedruckten Briefe an Hansen von der Metaphysik
der Raumlehre und der der negativen und komplexen Grössen, in dem Briefe an Drobisch (Werke X 1,
S. 101) von der Metaphysik der Mathematik, in dem an Grassmann (ebenda S. 43 6), wie auch in der An
zeige (Werke II, S. 175), von der Metaphysik der komplexen bezw. imaginären Grössen usw. Man wird
also dem, was Gauss im Auge hat, wenn er von der »Metaphysik« der Mathematik oder einzelner mathe
matischer Disziplinen handelt, am nächsten kommen, wenn man ihm das moderne Wort »Grundlagen
forschung«, wenn auch nicht immer im Sinne von Axiomatik, an die Seite stellt.
Schlesinger.
*) Auf S. 9 8 der angeführten Schrift gibt Sartorius von Waltershausen eine mündliche Äusse
rung von Gauss wieder, in der auf den ersten Satz unserer Notiz (»Gegenstand der Mathematik sind alle
extensive Grössen usw.«, siehe oben S. 50) ausdrücklich bezug genommen wird.