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Thermochemie.
von jeher das Cardinalproblem der Chemie gebildet;
doch konnte seine Lösung so lange nicht in Angriff ge
nommen werden, als eine Definition des Begriffes der
chemischen Verwandtschaft fehlte. Fasst man die Ver
wandtschaft (Affinität) im Sinne einer Arbeit auf, wie
das z. B. Julius Thomsen in seinen älteren Schriften ge-
than hat, so kann dieselbe durch die Wärmeentwicklung
gemessen werden; fasst man aber, wie es gegenwärtig
ziemlich allgemein geschieht, die Verwandtschaft im Sinne
einer Kraft auf, so dass die stärkere Verwandtschaft
immer die schwächere überwindet, so lässt sich aus der
entwickelten Wärme allein kein Maass für sie gewinnen.
Die nahe liegende und lange Zeit für allgemein richtig
angenommene Voraussetzung, zu der auch Hess gelangt,
dass der grösseren Wärmeentwicklung auch die grössere
chemische Kraft entspricht, hat sich in der Folge, wenn
auch in vielen, so doch nicht in allen Fällen, als stich
haltig erwiesen.
Neben Hess haben die ungefähr gleichzeitigen Ar
beiten von Andrews (12), Graham (13), Abria (14),
Woods (15) u. A. zur Sammlung thermochemischen
Materials beigetragen, ohne dass gerade aus den einzel
nen neu festgestellten Thatsachen Gesichtspunkte von
besonderer Bedeutung hervorgegangen wären. Der von
Andrews ausgesprochene Satz, dass verschiedene Säuren
bei der Neutralisation mit der nämlichen basischen Lösung
immer dieselbe Wärmeentwicklung ergeben, welcher offen
bar auch zur Erklärung der Thermoneutralität geeignet
ist, leidet an derselben Einseitigkeit, wie der gerade ent
gegengesetzte oben erwähnte HESs’sche Satz, und zeigt
den verhältnissmässig geringen Grad von Zuverlässigkeit
der damaligen Messungsmethoden.
In dieser Beziehung wurde erst durch Favre und
Silbermann der nächste wichtige Schritt eingeleitet, der
auch bei dem Umfang und der Sorgfalt der von ihnen
ängestellten Messungen von entsprechendem Erfolge be