Full text: Vorlesungen über die Theorie der Wärme (4. Band)

Zwölfte Vorlesung. 
Ausströmen eines Gases in Form eines Strahles. — Untersuchung des stationären 
Strahles in der Nähe der Ausflussöffnung, speciell für atmosphärische Luft. — 
Ausströmen eines Gemisches von Flüssigkeit und ihrem Dampf. — Tabellen von 
Zeuner für Wasserdampf. — Strömung von Flüssigkeit aus einer engeren in 
eine weitere conaxiale lange Röhre, die ursprünglich mit ruhender Flüssigkeit 
angefüllt war. — Stationärer Zustand an den Enden der weiteren Röhre. — 
Einführung vereinfachender Näherungsannahmen. — Beispiele für Wasserdampf 
und Wasser. — Specielle Fälle. 
§ 1. 
Von den in der vorigen Vorlesung entwickelten Gleichungen 
wollen wir zunächst eine Anwendung machen auf den Ausfluss einer 
Flüssigkeit aus einem Gefässe, 
Wenn Wasser aus der Oeffnung eines Gefässes ausfliesst, so bildet 
sich bekanntlich ein Strahl; es ist dieser anfangs ganz zusammen 
hängend, dann trennen einzelne Tropfen sich ab, endlich zerfällt er 
ganz in Tropfen. Ganz Aehnliches findet statt, wenn Luft aus einem 
Gefässe, in dem sie verdichtet ist, in die Atmosphäre tritt; man sieht 
den Strahl, wenn man etwa Rauch dem verdichteten Gase beigemengt 
hat; nur eine Tropfenbildung giebt es hier nicht; an ihrer Stelle 
zeigt sich hier Folgendes: in einiger Entfernung von der Ausfluss- 
Öffnung treten Theile des Strahles in die äussere Luft und Theile 
dieser in den Strahl; an der Oberfläche dieses bildet sich eine leb 
hafte Wirbelbewegung, die die äussere und die innere Luft vermischt, 
den Querschnitt des Strahles vergrössert und seine Grenze unbestimmt 
macht. Diese Wirbelbewegung greift, je weiter man auf dem Strahle 
fortgeht, mehr und mehr um sich nach Aussen und nach der Achse 
desselben; der Querschnitt wird immer grösser, die Grenze immer 
unbestimmter, zugleich der Rauch immer verdünnter und die Ge 
schwindigkeit immer kleiner; in einem gewissen Abstaude von der 
Ausflussöffnung ist von dem Strahle nichts mehr wahrnehmbar. 
Diese Veränderungen des Strahles sind eine Folge der Reibung; 
ohne diese würde Geschwindigkeit und Querschnitt desselben unge- 
ändert bleiben und eine Vermischung desselben mit der äusseren 
Luft gar nicht stattfinden. Andererseits übt die Reibung ihren Ein-
	        
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