Bolzano, Paradoxien des Unendlichen.
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Fernwirkung. Durchdringen.
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§ 53-
3. Mit diesem Vorurteile innigst zusammenhängend und
damit schon von selbst widerlegt, ist jenes noch viel ältere,
es sei keine (nämlich keine unmittelbare) Einwirkung einer
Substanz auf eine andere, in der Ferne von ihr befind
liche möglich. Im schroffsten Widerspruche mit dieser Vor
stellung behaupte ich vielmehr, daß jede Einwirkung einer
(im Raume befindlichen, also beschränkten) Substanz auf
eine andere eine actio in distans sei; aus dem ganz ein
fachen Grunde, weil je zwei verschiedene Substanzen in
jedem Augenblicke auch zwei verschiedene einfache Orte
einnehmen, also eine Entfernung zwischen sich haben
müssen. Den scheinbaren Widerspruch, der zwischen dieser
und einer anderen unserer Behauptungen liegt, daß der Raum
stetig erfüllt sein soll, habe ich schon oben besprochen.
§ 54-
4. Hiermit verstoßen wir aber freilich auch gegen ein
anderes Vorurteil der Schulen neuerer Zeit, die ein Durch
dringen der Substanzen, namentlich in jeder chemischen
Verbindung erblicken wollen. Jede Möglichkeit eines solchen
Durchdringens leugne ich unbedingt; weil es, soviel ich
einsehe, schon in dem Begriffe eines einfachen Ortes
(oder Punktes) liegt, daß er ein Ort sei, der nur eine ein
zige (einfache) Substanz beherbergen kann. Wo zwei Atome
sind, sind auch zwei Orte. Aus unserer schon mehrmal
wiederholten Erklärung vom Raume ergibt es sich gleich
falls unmittelbar, daß nur die Größe, welche die Entfernung
zweier aufeinander wirkender Atome hat, die Größe der
Veränderung bestimme, welche sie innerhalb einer gegebenen
Zeitdauer ineinander bewirken. Könnten zwei oder mehrere
Substanzen durch eine, auch noch so kurze Zeit in einem
und demselben Orte sein, so wäre die Größe ihres gegen
seitigen Einwirkens in dieser Zeit absolut unbestimmbar;
und wäre es auch nur ein einziger Augenblick, so wäre ihr
Zustand in demselben nicht zu bestimmen.