Zur Theorie der Fiktionen
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Nach der Ansicht von J. Volkelt ist für den radikalen Empi
rismus charakteristisch, daß dem Denken nur eine unter
geordnete Bedeutung zukommt; trotzdem sollen die Erfah
rungstatsachen so verknüpft werden, daß Wissenschaft daraus
erwächst. So sehen sich diese Philosophen dazu gedrängt,
alogische Kriterien für die Auslese und Verknüpfung
der Erfahrungstatsachen einzuführen. Die einen sprechen von
„Einfachheit der Verknüpfung“, andere vom „Prinzip des
kleinsten Kraftmaßes“ (Avenarius), von „Anpassung“ (Mach),
vom praktischen Erfolg der Gedankenverknüpfung (Pragraa-
tisten); in neuerer Zeit wurde das Denken auch ausdrücklich
als ein Verfahren auf Grund willkürlicher Annahmen be
zeichnet (Poincare) und für H. Vaihinger bedeutet es sogar
ein Verfälschen der Tatsachen.
M. Schlick hat das Prinzip der Ökonomie des Denkens einer
Kritik unterzogen mit dem Ergebnis, daß durch die biologische
Betrachtung des Erkenntnistriebs dieser verflacht werde. Nach
ihm ist das Prinzip haltbar und brauchbar, wenn man es nicht
als biologisch-psychologisches, sondern alslogischesPrin-
zip auf faßt, das sich auf das Verhältnis der Begriffe zuein
ander bezieht. Die Dinge der Welt sollen durch ein Minimum
von Begriffen eindeutig bezeichnet werden; die Ökonomie der
Wissenschaft besteht darin, mit einer möglichst geringen Zahl
von Grundbegriffen auszukommen 237 ).
Neben den oben aufgeführten drei Hauptrichtungen der Er
kenntnistheorie weist Wundt eine vierte auf, die in neuerer
Zeit unter der Losung „zurück auf Kant“ versuche, den Kri
tizismus mit den Forderungen der positiven Wissenschaften in
Einklang zu bringen. Aber Wundt meint, gegenüber solchen
Anlehnungen an ältere Systeme seien Positivismus und Pan
logismus nicht nur die relativ originellsten Richtungen, son
dern auch die, in denen sich der wissenschaftliche Charakter
des gegenwärtigen Zeitalters in den ihm eigenen Gegensätzen
am treuesten auspräge.
Gehen wir nun zum zweiten Merkmal der Fiktion über: Wer
Fiktionen bildet oder solche gebraucht, muß sich der