Full text: Fiktionen in der Mathematik

Fiktionen in der Mathematik 
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Heymans stellt sich auf den Standpunkt: Aus der Reihe der 
natürlichen Zahlen und deren Gesetzmäßigkeiten lassen sich 
alle Formeln der elementaren Arithmetik analytisch ableiten, 
die Zahlenreihe ist aber eine willkürliche Festsetzung, eine 
bloße Definition und als solche analytisch; somit liegt in der 
Arithmetik kein weiteres erkenntnistheoretisches Problem vor. 
Er dürfte sich die Sache doch zu leicht gemacht haben. Ein 
mal wird er nicht überall Zustimmung finden, wenn er die 
Zahlenreihe als willkürliche Festsetzung zum Ausgangspunkt 
macht, denn eine ganze Reihe von Arbeiten der letzten Jahr 
zehnte beschäftigte sich damit, über die Zahlenreihe hinaus 
zu den eigentlichen Wurzeln der Arithmetik vorzudringen. 
Sodann hat Heymans gewisse Fragen beim Aufbau der 
Arithmetik ganz unbeachtet gelassen, so die Unendlichkeit der 
Zahlenreihe, die Beweise durch sog. vollständige Induktion 
und anderes. Auch seine Einführung der negativen, der ge 
brochenen, der irrationalen und der imaginären Zahlen scheint 
nicht befriedigend; denn wenn schon die natürliche Zahlen 
reihe eine willkürliche Festsetzung ist, also ein Begriff, dessen 
Merkmale konventionell festgelegt sind, warum soll man dann 
nicht den Zahlbegriff so definieren können, daß er jene andern 
Zahlen auch mitumfaßt. Der Beantwortung dieser Frage 
weicht Heymans aus. Wenn er dann aber sagt 380 ): „Das Multi 
plizieren ist eben eine Operation, welche ihrer Natur nach 
nur mit Zahlen, und mit nichts anderem, ausgeführt werden 
kann; mit etwas, welches keine zählbare Zahl ist, multi 
plizieren, hat einfach keinen Sinn“, so lehnt er damit eigent 
lich die Erweiterungen des Zahlbegriffs ab. Man kann das nur 
so verstehen, daß er eben die Zahlenreihe doch nicht bloß als 
eine willkürliche Festsetzung betrachtet, sondern ihr irgend 
einen tieferen Sinn beilegt. 
Zur Klärung der aufgeworfenen Frage erscheint es zweck 
mäßig, die synthetische oder analytische Natur abgeleiteter 
Sätze zu unterscheiden von derjenigen von Grundsätzen (Kern 
sätzen oder Axiomen). 
Behauptet man von abgeleiteten Sätzen, sie seien analytisch,
	        
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