Fiktionen in der Mathematik
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wechselseitig und durchlaufend ist; dagegen be
zeichnen wir eine Beziehung als Anordnung, wenn sie
einseitig und durchlaufend ist. Diese letzte Be
ziehung ist wesentlich für den Größencharakter einer Eigen
schaft, erschöpft ihn aber nicht.
Der Zahlbegriff entsteht nun nach G. Hessenberg durch den
Abstraktionsakt des Übergangs von einer wechselseitigen,
durchlaufenden Beziehung zu einer Eigenschaft mit Größen
charakter, „Neben der wechselseitigen wird also auch eine
einseitige, antisymmetrische Beziehung bestehen. Diese beiden
Beziehungen dürfen den Zahlbegriff nicht enthalten oder
voraussetzen, da wir ihn ja erst aus ihnen ableiten wollen“* 93 ).
„Das, was wir zählen, sind Einzeldinge, Individuen; das
aber, was wir durch Zählung vergleichen, sind nicht diese
Dinge selbst, sondern Gesamtheiten, Vielheiten, Klassen,
mathematisch gesprochen: ,Mengen'.“ Hessenberg wendet
sich nun der Frage der Abbildung zweier Mengen aufeinander
zu und sagt dann: „Da...die Beziehung der Abbildbarkeit
wechselseitig und durchlaufend ist, ordnen wir ihr eine Eigen
schaft zu, die wir ,Zahl‘ oder besser »Anzahl' nennen, und
sagen von zwei abbildbaren Mengen, sie besäßen »gleiche An
zahl'. Die Beziehung kleiner-größer wird völlig wie bei den
Flächeninhalten, aber nur. bei endlichen Mengen definiert:
Eine Anzahl a heißt ,kleiner' als eine andere b, wenn eine
und daher jede Menge von der Anzahl b Teile von der An
zahl a besitzt“ 394 ).
Nun fragt es sich, wie wir Repräsentanten der Anzahlen
aufstellen können. Das bequemste Mittel, das wir dazu haben,
ist das „optisch-akustische System der Zahlzeichen und Zahl
worte“. Diese Zeichen müssen zunächst nur die eine Eigen
schaft haben, daß sie uns in einer ganz bestimmten, jederzeit
reproduzierbaren Reihenfolge in das Gedächtnis eingeprägt
sind. Da aber diese Worte nach einem bestimmten Gesetz ge
bildet sind, kraft dessen nach jedem Wort wieder ein neues
entsteht, können wir jede endliche Menge einem Teil derselben
zuordnen.