Fiktionen in der Mathematik
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haben, die Zahl als Fiktion aufzufassen, und doch fanden wir,
daß gerade in ihren Ableitungen fiktive Elemente stecken. Ihr
Mengenbegriff ist nicht so einwandfrei begründet, daß seine
weitere Verfolgung widerspruchsfrei durchgeführt werden
kann. Daraus den Schluß zu ziehen, die Zahlen seien also doch
Fiktionen, wäre verfehlt. Der einzig mögliche Schluß scheint
der, daß die mengentheoretische Begründung, wie wir sie hier
fanden, nicht einwandfrei ist. Ob die Begründung Russells
diese Schwierigkeit beseitigt, erscheint fraglich; Poincare hat
es jedenfalls stark bezweifelt.
B. Russell betrachtet aber schon die Menge als Fik
tion; er wird daher nichts dagegen einzuwenden haben,
wenn man auch die „Anzahl“ als Fiktion bezeichnet; es han
delt sich dann bei seinen Voraussetzungen um den Typus A 2 .
Sieht man in der Zahl lediglich ein Abstraktionsprodukt, so
haben wir eine Parallele zu den sonstigen Begriffsbildungen.
Will man diese als Fiktionen betrachten, wie wir es bei
M. Schlick finden, so ist auch der Zahlbegriff eine Fiktion
(A 2 ); aber diese Einstellung scheint uns nicht notwendig.
Jedenfalls aber muß bei dieser Auffassung und noch mehr
bei jeder empiristischen Ableitung der Zahl die Unendlich
keit der Zahlenreihe eine Fiktion sein; denn einmal erscheint
die Existenz unendlich vieler empirischer Gegenstände höchst
unwahrscheinlich, sodann ist aber die Auszählung der unend
lichen Zahlenreihe erst recht fiktiv. Es nützt nichts, wenn man
wie Pasch voraussetzt, der Mensch habe unbegrenztes Leben
und unbegrenztes Gedächtnis, denn darin liegt wieder eine
Fiktion.
Wir betrachten aber diese ganze Einstellung als verfehlt
und sehen in der „Unendlichkeit“ der Zahlenreihe nichts als
das Bestehen eines Gesetzes, das zu jeder beliebigen Zahl der
Reihe eine darauffolgende Zahl garantiert und können daher
auch in der „Unendlichkeit“ der Zahlenreihe keine Fiktion
erblicken.
Wenn D. Hilbert die Zahlzeichen als die Gegenstände der
Zahlentheorie betrachtet und von ihnen, wie von den „idealen