Fiktionen in der Mathematik
liehen Verwendung der negativen, gebrochenen, irrationalen
und komplexen Zahlen nicht voll gerecht. Andere, strenge Be
gründungsversuche der rationalen Zahlen wurden be
reits dargelegt, ihre Widerspruchslosigkeit und unbeschränkte
Anwendungsmöglichkeit steht für uns fest. Wir haben uns
noch eingehender mit den irrationalen und komplexen Zahlen
zu beschäftigen.
B. Die irrationalen Zahlen.
Das Bedürfnis, das Gebiet der rationalen Zahlen durch Ein
führung irrationaler Zahlen zu erweitern, ist zuerst in der
Geometrie hervorgetreten; es zeigt sich, sobald man die Zah
len zu Zwecken des Messens heranzieht. Da das Ver
gleichen von Flächeninhalten auf das Vergleichen von Strecken
zurückgeführt werden kann, können wir uns auf letzteres
beschränken. Denken wir uns eine Streckeneinheit gewählt,
so können wir auf einer geraden Linie von einem willkürlich
gewählten Punkt aus jederzeit eine Strecke abtragen, die
einer beliebigen ganzen Zahl n entspricht; aber umgekehrt
läßt sich nicht jeder Strecke eine Zahl zuordnen, denn zu
irgend zwei Strecken gibt es stets mindestens eine und darum
co viele, die der Länge nach zwischen ihnen liegen; zwischen
zwei ganzen Zahlen aber liegt nur eine endliche Anzahl von
solchen. Man sagt, die Streckenlängen besitzen einen „dich
ten“ Ordnungstypus; dagegen ist der Typus, nach dem die
ganzen Zahlen geordnet sind, ein „isolierter“. Zur Überwindung
dieser Schwierigkeit, die so alt ist wie das Problem des Mes
sens, führte man zunächst die gebrochenen Zahlen ein, die
wir schon bei den Ägyptern und Babyloniern finden. Für die
Praxis des Messens ist damit die Schwierigkeit behoben, da
die Bruchzahlen ebenfalls einen dichten Ordnungstypus be
sitzen. Dennoch kann auch jetzt noch nicht jeder Strecke eine
rationale Zahl zugeordnet werden. Die Maßzahl der durch die
Seite eines Quadrats gemessenen Diagonale müßte die Eigen
schaft haben, mit sich selbst multipliziert, 2 zu geben; eine ge
brochene Zahl gibt aber, mit sich selbst multipliziert, stets
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