Die Erweiterungen des Zahlbegriffs
267
Arithmetik der Schnitte nicht nur mit der Arithmetik der
rationalen Zahlen in formaler Übereinstimmung, sondern sie
enthält auch ein umkehrbar eindeutiges Abbild
der Arithmetik der rationalen Zahlen als Teil
in sich.
Es steht daher nichts im Wege, den Schnitten erster Art den
Namen Zahlen beizulegen, und zwar bezeichnen wir sie als
rationale Zahlen; ebenso können dann die Schnitte
zweiter Art als rationale Zahlen angesprochen werden. Dann
erscheint es aber als natürlich, auch den Schnitten dritter Art
den Namen „Zahl“ zu geben, und zwar sollen sie im Unter
schied von den beiden anderen „irrationale Zahlen“
heißen. Wir haben damit den Zahlbegriff erweitert, aber in
durchaus legitimer Weise. Die hier noch unterschiedenen
rationalen und irrationalen Zahlen fassen wir unter dem
Namen „reelle Zahlen“ zusammen.
Als vor rund 100 Jahren durch Gauß, Cauchy, Abel u. a. die
Forderung strengerer Beweisführungen in der Mathematik er
hoben wurde, war es vor allem der Begriff des Grenzwerts
einer Zahlenfolge, der für die Begründung der Analysis in
seiner fundamentalen Bedeutung erkannt wurde. Cauchy faßte
nun die irrationalen Zahlen einfach selbstverständlich als
Grenzwerte von Folgen rationaler Zahlen auf. Er stellte sogar
den Satz auf: „Damit die Folge ai, a 2 , a 3 ... einen Grenzwert a
hat, ist notwendig und hinreichend, daß die a n sich von a, also
voneinander beliebig wenig unterscheiden.“ Dieser Satz ist
tatsächlich von grundlegender Bedeutung, aber Cauchy blieb,
ohne sich dessen bewußt zu werden, den Beweis dafür schul
dig, daß die Bedingung wirklich hinreichend ist. Ohne eine
klare Definition der Irrationalzahlen hätte er den Beweis ja
auch nicht führen können, weil im Bereich der rationalen
Zahlen der Satz nicht richtig ist; denn eine Folge rationaler
Zahlen hat oft keinen rationalen, sondern einen irrationalen
Grenzwert.
B. Bolzano erkannte die Notwendigkeit eines Beweises
dieses Satzes klar, da ihm aber eine Definition der irrationalen