Full text: Fiktionen in der Mathematik

Natorps Ansicht stecken in diesem Satz folgende zwei Vor 
aussetzungen: 
1. Man setze den Schnitt schon als eindeutig bestimmtes 
Etwas voraus, und es sei dann nur noch eine Frage der Zweck 
mäßigkeit, ob man dieses Etwas eine Zahl nennen wolle oder 
nicht. Anders ausgedrückt: Man setze die Lücken zwischen 
den Stellen der rationalen Reihe selbst als Stellen der er 
weiterten Reihe und als solche bestimmt. Was dazu berechtige, 
sei eben die Frage. Bewiesen sei; „Wenn ein bestimmter ein 
ziger Wert der verlangten Art existiert (z. B. x = |Z2), so 
teilt er die Reihe der rationalen Werte in einziger, nicht mehr 
facher Weise.“ Aber daß der Wert existiere, sei nicht bewiesen. 
2. Man setze im Begriff der Lückenlosigkeit die Allheit 
der Schnitte als gegeben, die doch in keiner Weise 
gegeben sei. Die Allheit der rationalen Werte sei durch sichere 
Definition gegeben, die der irrationalen nur durch das nega 
tive Merkmal des Nichtrationalen. Positiv kenne man gewisse 
Klassen irrationaler Werte (z. B. die algebraischen), aber eine 
erschöpfende Definition „der“ irrationalen Werte sei weder 
gegeben, noch überhaupt möglich. 
Trotz allem liege in Dedekinds Erklärung der wahre 
logische Grund der Stetigkeit verborgen; er mußte nur ans 
Licht gezogen werden. Daß er nicht zutage kam, hatte seinen 
wesentlichen Grund darin, daß immer noch vom Endlichen, 
Diskreten, Rationalen als dem zweifellos Gegebenen und Be 
stimmten ausgegangen wurde und dann durch irgendeine be 
stimmte Beziehung unter Rationalem das Irrationale zur Be 
stimmung gebracht werden sollte. Das konnte aber nicht ge 
lingen, meint Natorp; durch keine Kunst lasse sich aus Ratio 
nalem Irrationales, aus Diskretem Stetiges machen. Es müsse 
„vielmehr gezeigt werden können, daß der nicht rational, d. h. 
endlich und diskret bestimmte Wert in sich etwas ist und in 
sich bestimmt ist, ja aus dem Boden des Unendlichen, aus dem 
er erwächst, eine gediegenere Bestimmtheit zu schöpfen ver 
mag als die dem bloß endlich bestimmten Werte zukäme“. 
Den rein mathematischen Ausdruck dieses richtigen Weges
	        
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