YI.
Das Unendliche in der Mathematik.
In den mathematischen Fiktionen H. Yaihingers spielt das
Unendliche eine sehr wichtige Rolle. Das ist nicht verwunder
lich, wenn man bedenkt, wie mannigfach früher im Aufbau
der Geometrie und der Analysis das Unendliche herangezogen
wurde. In diesem Begriff sieht Vaihinger aber nicht nur etwas
Unwirkliches, sondern auch etwas Widerspruchsvolles.
Die Ausführungen über das „Unendlich-Kleine“ eröffnet
Vaihinger mit der Betrachtung gewisser „Null-Fälle“. Be
sonders die Unterordnung des Kreises unter die
Ellipse erscheint ihm als Muster einer mathematischen
Fiktion. Wir könnten rasch darüber Weggehen, da mathema
tisch kaum ein ernsthaftes Problem vorliegt, wenn nicht
gerade dieses Beispiel von den meisten Autoren, die sich über
mathematische Fiktionen äußerten, kritiklos und fast wört
lich von Vaihinger übernommen worden wäre.
Worin soll nun das Widerspruchsvolle, das Fiktive gesehen
werden?
Zum Wesen der Ellipse gehöre die Existenz zweier Brenn
punkte, die einen bestimmten Abstand m haben; beim Kreis
sei dieser Abstand 0, einen Abstand 0 gebe es aber nicht. So
spreche man von einem unendlich kleinen Abstand der Brenn
punkte usw. Zunächst muß gesagt werden, daß wir mit dem
durchaus unpräzisen Ausdruck: „ co kleiner Abstand der
Brennpunkte“ nichts anfangen können; wenn wir schon von
Brennpunkten reden wollen, müssen wir sagen, daß diese beim
Kreis zusammenfallen. Aber es stehen uns zur Konstruktion
und zur begrifflichen Fassung der Ellipse nicht nur die Brenn
punktseigenschaften zu Gebote; wir können ebensowohl von
der affinen Transformation oder von der Erzeugung durch
Schnitt zweier projektiver Strahlbüschel Gebrauch machen.
Dann wird der Übergang von der Ellipse zum Kreis ein durch
Betsch.
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