315
Das Unendliche in der Mathematik. Mengenlehre
Für die transfiniten Kardinalzahlen gelten nun die üblichen
formalen Gesetze des Addierens, Multiplizierens und Poten-
zierens, aber beim Rechnen mit den Ordnungstypen oder den
transfiniten Ordnungszahlen trifft das nicht mehr ganz zu; so
bleibt das kommutative Gesetz weder bei der Addition, noch
bei der Multiplikation in Gültigkeit.
Wir können hier nicht darstellen, wie Cantor die Theorie
der transfiniten Mengen und Zahlen ausbaute und einen voll
ständigen Kalkül für sie schuf, auch nicht die mannigfachen
Anwendungen auf zählen, die im Verfolg seiner Ideen durch
die Zusammenarbeit von Dedekind, Frege, Cantor u. a. ermög
licht wurden. Dagegen müssen wir uns mit einer Sache be
schäftigen, die das ganze Lehrgebäude zeitweilig ernstlich
bedrohte.
Bei der Anwendung der bei Mathematikern allmählich
üblich gewordenen Schlußweisen stellten sich Widersprüche
heraus, die bald unter dem Namen „Antinomien“ oder „Para
doxien der Mengenlehre“ bekannt wurden und zu heftigen
Angriffen auf Cantors Lehre führten.
Es fehlte allerdings nicht an Verteidigern der Theorie, aber
die Heilmittel, die zur Beseitigung der aufgetretenen Wider
sprüche empfohlen wurden, waren recht verschiedenartig.
Während die einen den Fehler schon im Ausgangspunkt such
ten und die Definition der Menge selbst einer Kritik unter
zogen, wandten sich andere der Untersuchung der Axiome der
Mengenlehre zu oder prüften, wie weit die uns geläufigen logi
schen Schlußweisen auf das aktual Unendliche anwendbar
seien. Die Versuche, vollständige Klarheit zu schaffen, sind
durchaus noch nicht abgeschlossen; der Begriff der Menge
entbehrt noch einer allgemein anerkannten Definition und
auch die Zahl und Art der notwendigen und zulässigen Vor
aussetzungen (Axiome oder Postulate) ist noch nicht in der
Weise geometrischer Axiomensysteme unter der Garantie
innerer Widerspruchslosigkeit festgelegt.
Durch die Arbeiten der letzten 20 Jahre bildete sich in den
Auffassungen der Mathematiker hinsichtlich der Fragen der