Fiktionen in der Mathematik
Objekte, oder die individuellen Geister, sollen unabhängig
existieren; die Welt existierte vor der Schöpfung des Men
schen, sie würde auch existieren ohne irgendein denkendes
Subjekt. Sogar die mathematischen Größen sind
Realitäten, die unabhängig von denkenden Wesen exi
stieren. Die Geometrie wird nicht geschaffen, sondern nur
entdeckt; ihre Objekte existieren als reine Essentien. Die Un
endlichkeit erscheint nicht als Folgerung, da sie vor dem
Geiste existierte, der sie entdeckte.
So meint Poincaré, die beiden Richtungen verstehen sich
nicht, weil sie eine verschiedene Sprache reden. Die Mathe
matiker verstehen sich sonst, eben auf Grund der Verifikation;
bei dem hier behandelten Problem aber versagt diese. Das
einzige, was man tun könnte, wäre, dem Gegner einen Wider
spruch nachzuweisen. Durch die Antinomien wurde aber
niemand überzeugt, da sich Möglichkeiten bieten, sieh diesen
zu entziehen.
Es braucht kaum gesagt zu werden, daß Poincaré mit dieser
scheinbaren Relativierung der ganzen Fragestellung die tat
sächlich vorhandenen Schwierigkeiten auch nicht aus der Welt
schaffte. Auch seine Unterscheidung von prädikativen und
nichtprädikativen Definitionen ist nicht so weittragend, wie es
scheint. Zermelo weist 460 ) darauf hin, daß gerade die als „prä
dikativ“ bezeichnete Definition etwas Zirkelhaftes enthalte.
Eine Definition darf sich nach seiner Ansicht sehr wohl auf
Begriffe stützen, die dem zu definierenden äquivalent sind; ja
sie müsse es sogar.
Aber die Auffassung Poincarés ist hier deshalb von Bedeu
tung, weil nach ihr alles aktual Unendliche den
Fiktionen zuzuweisen ist, teils im Sinn des
Nichtexistierenden, teilweise auch im Sinn
von widerspruchsvoll.
Wir stehen mit diesen Darlegungen bereits mitten in dem
Kampf, in dem auch heute noch auf beiden Seiten mit unver
minderter Zähigkeit um den Sieg gerungen wird. Nur die
Namen beider Parteien sind anders geworden. Man bezeichnet
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