Full text: Fiktionen in der Mathematik

Grundlagen der V a i h i n g e r s c h e n Fik t i o n s 1 e h r e 
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das mathematische Kontinuum, welches nichts anderes ist als 
ein besonderes System von Symbolen. Seine Macht wird nur 
begrenzt durch die Notwendigkeit, Widersprüche zu ver 
meiden; aber der Verstand macht von dieser Fähigkeit nur 
Gebrauch, wenn die Erfahrung ihm dazu Veranlassung gibt.“ 
Ähnlich äußert sich W. W u n d t, aber mit noch stärkerer 
Betonung der Seite der Erfahrung: Die Mathematik ist nicht 
beschränkt auf die Untersuchung der formalen Relationen, die 
sie an den Objekten der Erfahrung verwirklicht findet, son 
dern es steht ihr frei, die in der Erfahrung gegebenen Bedin 
gungen beliebig zu erweitern oder zu verengern. Da sie eine 
rein logische Wissenschaft ist, findet sie ihre Schranken immer 
nur an der formalen Ausführbarkeit der durch bestimmte 
Voraussetzungen geforderten Denkoperationen. Naturgemäß 
aber müssen diese Voraussetzungen anknüpfen an die empi 
risch gegebenen Relationen wirklicher Objekte; sie können 
nicht als völlige Neuschöpfungen auftreten, son 
dern nur als willkürliche Veränderungen ge 
gebener Beziehungen“ usw. 135 ). 
G. F r e g e 138 ) dagegen, der sich auch mit der Frage be 
schäftigt, was Definieren ist und was dadurch erreicht werden 
kann, bemerkt: „Man scheint ihm vielfach eine schöpferische 
Kraft zuzutrauen, während doch dabei weiter nichts geschieht, 
als daß etwas abgrenzend hervorgehoben und mit einem 
Namen bezeichnet wird. Wie der Geograph kein Meer schafft, 
wenn er Grenzlinien zieht..., so kann auch der Mathematiker 
durch sein Definieren nichts eigentlich schaffen. Man kann 
auch nicht einem Dinge durch bloße Definition eine Eigen 
schaft anzaubern, die es nun einmal nicht hat...“ Frege meint, 
es entstehe hier leicht Unklarheit durch die mangelnde Unter 
scheidung zwischen Begriff und Gegenstand einerseits, Merk 
malen eines Begriffs und Eigenschaften eines Gegenstands 
andererseits. 
Den psychologischen Logikern aber macht er den Vorwurf, 
daß sie „E x i s t e n z“, wie sie in dem in der Mathematik sehr 
häufig auftretenden Urteil „es gibt“ ausgesprochen wird, mit
	        
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