Grundlagen der V a i h i n g e r s c h e n Fik t i o n s 1 e h r e
5 7
das mathematische Kontinuum, welches nichts anderes ist als
ein besonderes System von Symbolen. Seine Macht wird nur
begrenzt durch die Notwendigkeit, Widersprüche zu ver
meiden; aber der Verstand macht von dieser Fähigkeit nur
Gebrauch, wenn die Erfahrung ihm dazu Veranlassung gibt.“
Ähnlich äußert sich W. W u n d t, aber mit noch stärkerer
Betonung der Seite der Erfahrung: Die Mathematik ist nicht
beschränkt auf die Untersuchung der formalen Relationen, die
sie an den Objekten der Erfahrung verwirklicht findet, son
dern es steht ihr frei, die in der Erfahrung gegebenen Bedin
gungen beliebig zu erweitern oder zu verengern. Da sie eine
rein logische Wissenschaft ist, findet sie ihre Schranken immer
nur an der formalen Ausführbarkeit der durch bestimmte
Voraussetzungen geforderten Denkoperationen. Naturgemäß
aber müssen diese Voraussetzungen anknüpfen an die empi
risch gegebenen Relationen wirklicher Objekte; sie können
nicht als völlige Neuschöpfungen auftreten, son
dern nur als willkürliche Veränderungen ge
gebener Beziehungen“ usw. 135 ).
G. F r e g e 138 ) dagegen, der sich auch mit der Frage be
schäftigt, was Definieren ist und was dadurch erreicht werden
kann, bemerkt: „Man scheint ihm vielfach eine schöpferische
Kraft zuzutrauen, während doch dabei weiter nichts geschieht,
als daß etwas abgrenzend hervorgehoben und mit einem
Namen bezeichnet wird. Wie der Geograph kein Meer schafft,
wenn er Grenzlinien zieht..., so kann auch der Mathematiker
durch sein Definieren nichts eigentlich schaffen. Man kann
auch nicht einem Dinge durch bloße Definition eine Eigen
schaft anzaubern, die es nun einmal nicht hat...“ Frege meint,
es entstehe hier leicht Unklarheit durch die mangelnde Unter
scheidung zwischen Begriff und Gegenstand einerseits, Merk
malen eines Begriffs und Eigenschaften eines Gegenstands
andererseits.
Den psychologischen Logikern aber macht er den Vorwurf,
daß sie „E x i s t e n z“, wie sie in dem in der Mathematik sehr
häufig auftretenden Urteil „es gibt“ ausgesprochen wird, mit