Grundlagen der Y a i h i n g e r s c h e n F i k t i o n s 1 e h r e
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Setzungen, von denen die mathematische Deduktion ausgehen
soll, meist um so weiter auseinander.
W u n d t 140 ) hebt in einem kurzen historischen Überblick
zwei Hauptrichtungen hervor: Der mathematischeRea-
1 i s m u s betrachtet die Mathematik deshalb als Ideal einer
Wissenschaft, weil ihre Fundamentalsätze durch ihre Evidenz
und Allgemeingültigkeit auf eine dem Zufall wechselnder Er
fahrungen entrückte Quelle der Erkenntnis im menschlichen
Geist selbst hinwiesen. Wundt führt als Hauptvertreter dieser
Richtung Plato, Descartes, Leibniz und Kant an, betont aber,
daß diese in ihren Ansichten wieder stark voneinander ab
weichen. Dem Nominalismus sind die Prinzipien der
mathematischen Deduktion empirisch entstandene, aber durch
willkürliche Annahmen von den Erfahrungsobjekten ab
weichende Vorstellungen; damit ist nach Wundt die meta
physische Verwendung der Mathematik beseitigt und trotz
dem ihre Ausnahmestellung den Erfahrungswissenschaften
gegenüber gewahrt. Als Vertreter dieser Richtung werden
Hobbes, Locke, Berkeley, Hume, J. St. Mill genannt. Auch in
dieser Richtung zeigten sich Schwankungen, aber sie sind
nach Ansicht Wundts viel geringer als beim Realismus.
Wundt meint:
Beide Auffassungen, der Realismus und der Nominalismus,
begegnen sich in der Überzeugung, daß die Gewißheit der
Mathematik auf der Unveränderlichkeit ihrerVor-
aussetzungen beruhe. Aber während der Realismus die
Bedeutung der mathematischen Ideen wesentlich in ihrer
realen Existenz im Geiste erblicke, betrachte der Nominalis
mus diese Ideen nur als willkürliche Schöpfungen, welche
durch die für sie eingeführten Namen oder sonstigen Sym
bole die erforderliche Konstanz erst empfangen.