358
VIL Kapitel. Die komplexen Zahlen.
dritten Gruppe (Ungleichung (XIY), S. 355) zwei Größen e, i, deren
Multiplikation die Gleichungen (XIV a) bestimmen. Jede der drei
Gruppen reduziert sich also tatsächlich auf ein einziges System,
nämlich das der sämtlichen linearen Verbindungen des betreffenden
Einheiten-Paares mit reellen Koeffizienten. Nur das dritte System
besitzt die Eigenschaft, daß die Division durch jede von Null ver
schiedene Zahl möglich ist und infolgedessen auch ein Produkt immer
nur dann verschwinden kann, wenn wenigstens einer der Faktoren
Null ist, und daß außerdem die Quadratwurzelausziehung aus einer
beliebigen Zahl des Systems wieder auf eine Zahl des Systems führt.
Dieses dritte System, welches man als das der gewöhnlichen oder
gemeinen komplexen Zahlen bezeichnet, ist also, zunächst jeden
falls unter allen Systemen aus zwei Einheiten, das einzige, für
welches genau dieselben Rechnungsgesetze gelten wie für
die reellen Zahlen, vor denen es aber den Vorzug hat, daß in ihm
die erwähnte, für reelle Zahlen unlösbare Aufgabe lösbar wird.
Zusatz:
Wenn auch nicht durch das Bedürfnis, bisher unlösbare Aufgaben lösbar
za machen, veranlaßt, so hat man doch aus rein theoretischem Interesse auch
Zahlensysteme studiert, die aus mehr als zwei Einheiten zusammengesetzt sind.
Wie schon S. 341, Anm. ‘2 gesagt, lassen sich für solche Addition, Subtraktion
und Multiplikation mit einer reellen Zahl stets ohne Schwierigkeit in derselben
Weise wie für Systeme aus zwei Einheiten behandeln. Es liegt dann nahe, für
die Multiplikation zweier komplexen Zahlen eine derartige Definition zu fordern,
daß das Produkt demselben Zahlbereiche angehört wie die Faktoren, und daß
alle Multiplikationsgesetze erhalten bleiben. Auch dieses Ziel ist stets, und
zwar noch auf unendlich viele Arten, zu erreichen. Aber es stellt sich dabei
heraus, daß, wie man auch die Multiplikationskoeffizienten wählen möge, auf
jeden Fall unendlich viele Zahlen existieren, durch welche man nicht dividieren
kann, und daß es infolgedessen immer Produkte gibt, die den Wert Null an
nehmen, ohne daß einer der Faktoren verschwindet, was natürlich eine von der
gewöhnlichen erheblich abweichende Algebra zur Folge hat 1 )-
1) Schon Gauß schließt die bereits S. 386 zitierte Selbstanzeige seiner
zweiten Abhandlung über die biquadratischen Reste mit den Worten (Gauß 1
Werke, Bd. II, S. 178): „Der Verfasser hat sich Vorbehalten, den Gegenstand,
welcher in der vorliegenden Abhandlung eigentlich nur gelegentlich berührt ist,
künftig vollständiger zu bearbeiten, wo dann auch die Frage, warum die Re
lationen zwischen Dingen, die eine Mannigfaltigkeit von mehr als zwei Dimen
sionen darbieten, nicht noch andere in der allgemeinen Arithmetik zulässige
Arten von Größen liefern können, ihre Beantwortung finden wird.“ Gauß selber
hat nun aber über diese Frage nichts weiter publiziert. Sie ist erst, und zwar
in dem oben angegebenen Sinne, beantwortet worden von H. Hankel in seiner
„Theorie der komplexen Zahlensysteme“ (Leipzig 1867), S. 108 und etwa seit dem
Anfänge der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts von Weierstraß in
seinen Vorlesungen an der Universität Berlin.