Full text: Ziele und Resultate der neueren mathematisch-historischen Forschung

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wirklicher Wissenschaft einheimsen. Gestützt auf die bezüg 
lichen Nachrichten solcher Glücklichen hatte Bretschnoider 
bereits in seiner ersten bahnbrechenden Publikation 15 ) die ägyp 
tische Geometrie als „Reisskunst“ charakterisirt. Genaueres aber 
wissen wir nicht, und wo das Wissen aufhört, beginnt stets die 
Conjekturenfabrikation ihr luftiges Spiel. 
Aegyptens Astronomie und Mathematik waren für Freunde 
solcher misslichen Thätigkeit von jeher ein beliebtes Tummel 
feld. Die Hundsternperiode, der Thierkreis von Denderah und 
vor Allem die grosse Pyramide von Gizeh, das waren Dinge, 
über die sich vieles sagen liess. Nur mit einigen Worten möge 
der wissenschaftliche Mythenkultus besprochen werden, welcher 
sich um diese letztere gebildet hat — es würde uns widerstre 
ben, in einer ernst-wissenschaftlichen Schrift solche Phantasmen 
zu berühren, allein wir haben uns überzeugt, dass dieselben eine 
weit allgemeinere Zustimmung sich erworben haben, als man 
das von unserer gewöhnlich so realistisch denkenden Zeit an 
sich erwarten sollte. 
Ein schottischer Astronom, Piazzi Smith, trat plötzlich 
mit der Versicherung vor die gelehrte Welt, dass jene Pyramide 
nichts anderes sei als ein krystallisirtes Denkmal der alt-ägypti 
schen Wissenschaft lü ). Ihm zufolge hat man in Aegypten be 
reits tüchtig Geometrie verstanden; so ist z. B. der Quotient 
aus dem Umfang der Basis dividirt durch die Höhe genau gleich 
n — 3,14, während doch, wie wir sahen, der authentisch fest- 
gestellte Werth dieses Verhältnisses 3,16 im Sinne der Aegypter 
war. Der Abbé Moigno, der bekannte Redakteur eines fran 
zösischen Repertoriums, war bald für diese „Entdeckung“ ge 
wonnen, er sagt von der Pyramide 17 ), dass sie „n’est nullement 
un monument artistique, c’est un monument géométrique, un 
oeuvre évidemment scientifique,“ Behaglich spinnt er den Fa 
den weiter und fragt sich — horribile dictu —, ob nicht viel 
leicht die Temperatur jener Gegend gewissermassen das Normal 
mittel aller Erdtemperaturen sei. Und als dann der gesunde 
Sinn Einzelner gegen solche Absurditäten protestirt, erscheint 
Piazzi Smith selbst in der Arena, schildert nochmals in einem 
ausführlichen Briefe den Entwickelungsgang seiner Theorieen 
und schliesst pathetisch 18 ) mit den Worten: „Telle est, Mon 
sieur l'Abbé, la nature élevée du monument unique de pierre
	        
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