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tiger Weise zu verwenden und nicht an unlösbaren oder bereits
anderweitig gelösten Problemen zu zersplittern. Sie steht in der
allerintimsten Beziehung zur Geschichtskenntniss, denn in der
That, woher soll sich der Gelehrte jene Pegeln entnehmen als
aus dem lebendigen Studium dessen, was schon vor ihm geleistet
worden? Es soll hier gar nicht von dem derb greifbaren Falle
geredet werden, in welchem längst Gethanes direkt rekapitulirt
wird, obwohl der mathematische Historiker gerade derartige
xote 7. Fakta zu Hunderten aufzuführen im Stande wäre — es sei nur
an die herrliche Zahlentheorie der Inder erinnert, deren Metho
den von Buchet und Lagrange selbstständig neu gefunden
werden mussten.
Aber eine andere weniger beachtete Seite des Gegenstandes
möchten wir hervorheben. Sehr häufig kann es sich ereignen,
dass einer Idee, die Jahrhunderte hindurch nur einen ganz be
schränkten Inhalt zu repräsentiren schien, plötzlich ein ganz
neuer und ungleich allgemeinerer Sinn untergelegt wird, ohne dass
sie doch aufgehört hätte, im Grunde den nämlichen gedanklichen
Notes. Inhalt zu repräsentiren. Als Apollonius der Pergäer die
Epicyklen erdachte und Ptolemäus mit ihrer Hülfe die Him
melserscheinungen in mustergültiger Weise erklärte, da lag ge
wiss Beiden nichts ferner als der ihnen von einer unwissenden
Nachwelt unterschobene Gedanke, etwas für alle Zeiten Festes
und Massgebendes hingestellt zu haben. Als geometrisches
Hilfsmittel konnte selbst Copernicus das bewegliche Element
seines grossen Vorläufers nicht entbehren, und erst Kepler
wusste die von demselben geleistete Unterstützung durch andere
und naturgernässerc Theorieen zu ersetzen, aber zu Grunde ge
gangen war darum die Erfindung des grossen Griechen nicht. In
analytischer Hinsicht beruht noch heute die ganze rechnende
Sternkunde auf dem Grundgedanken der epicyklischen Bewegung,
und nur mit bedauerndem Lächeln kann der Sachkundige die
in populären Büchern sich immer wiederholenden Tiraden lesen,
welchen zufolge man in der Epicyklenlehre nicht sowohl einen
überwundenen Standpunkt, als vielmehr geradezu eine Verirrung
des menschlichen Geistes sehen müsste.
Wir beleuchteten eben ein Phänomen, das historisch wie
philosophisch gleichmässig von Interesse ist und auf die Erkennt-
uiss der den wissenschaftlichen Fortschritt regelnden Gesetze