Full text: Ziele und Resultate der neueren mathematisch-historischen Forschung

24 
Wissenschaften erschienen zu damaliger Zeit noch nicht als gleich 
berechtigt auf dem Plan; die demonstrativen Disziplinen bildeten 
den Vorkurs der Arzneiwissenschaft, die exakten bildeten die 
sogenannte Mathesis applicata. Auch in ersteren lenkte man 
mit Vorliebe auf die ursprünglichen Quellen zurück; und wenn 
man auch aus des Plinius und Dioscorides Pflanzenbeschrei 
bungen und aus des Aristoteles Thiergeschichte manch’ mon 
ströse Fabel mit herübernehmen musste, so lernte man doch von 
ihnen die im Mittelalter fast ganz verloren gegangene Kunst, 
liebevoll die Natur und ihre Erscheinungen selbst zu befragen; 
der Sinn für die Natur und ihre Schönheit, dessen Förderung 
nach A. v. Humboldt 1 ) mit derjenigen der Natur-Erkenntniss 
im unmittelbarsten Zusammenhänge steht, gewann auf diesem 
Wege unendlich mehr als durch das eifrigste Studium verderbter 
arabischer Texte. Und auch die angewandte Mathematik konnte 
im Grossen und Ganzen aus ihrem historischen Grunde nur Vor 
theil ziehen. Die Astronomie des Ptolemaeus hatte erst an 
gefangen, den besonders erleuchteten Geistern nicht mehr zu ge 
nügen, für die Musik hatte man in der Intervallenlehre des 
Pythagoras und in der Kanonik des Euclid eine völlig aus 
reichende Grundlage, die Optik und Katoptrik des Letzteren 
enthielten zwar nicht viel und dazu nicht immer fehlerfreien 
Stoff, dafür hatte man die weitschichtige nach arabischen Vor 
bildern gearbeitete Sammlung des Thüringers Witelo*). Nur 
die mechanische Physik befand sich in übler Lage, denn statt 
auf die schwer verständlichen geo- und hydrostatischen Schriften 
des Archimedes bezog man sich weit lieber auf die durch 
ihre laxe Denk- und Ausdrucksweise bequem erscheinende 
Naturphilosophie des Aristoteles. 
Das sechzehnte und siebenzehnte Jahrhundert schuf beson 
ders auf mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiete ungemein 
viel Neues und Grosses, und man könnte wohl erwarten, dass 
der eminente Fortschritt, welcher sich damals vollzog, den Sinn 
für historische Studien völlig in den Hintergrund gedrängt haben 
müsste. Und doch war diess keineswegs der Fall — im Gegen- 
*) Wir nehmen in Rücksicht auf die Nachforschungen Curtze’s keinen 
Anstand mehr, den „Thuringopolonus Vitellio“ in deutschem Gewände 
aufzufnhren 2).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.