Full text: Ziele und Resultate der neueren mathematisch-historischen Forschung

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wusste gewiss recht gut, dass verglichen mit Yesali und Boer- 
h a v e ein griechischer Arzt nur ein Stümper sei, und trotzdem 
erklärt noch auf den meisten Hochschulen ein Lehrer die 
Aphorismen des grossen Hippocrates, der zuerst in Luft, 
Wasser und Lebensweise die Faktoren des sanitären Lebens 
erkannt hatte. In der Mathematik bleibt nach wie vor Euclid 
das hohe Vorbild, dessen elementarer Strenge auch die fortge 
schrittensten Analytiker, ihre Achtung nicht versagen; ein 
Newion 3 ) bekennt sein allzufrühes Verlassen der griechischen 
Geometer bei seinen späteren Untersuchungen als steten Mangel 
durchgefühlt zu haben. Und mit Schmerz sahen die bedeutend 
sten Koryphäen seit Beginn der neuesten Zeit, dass diese Ehr 
furcht schwinde; recht bezeichnend ist die Art und Weise, wie 
diese Abnahme eines naturgemässen Conservatismus durch einen 
Mathematiker ersten Ranges, dem durch seine Forschungen über 
simultane Differentialgleichungen bekannten Johann Friedrich 
Pfaff, constatirt wird. In seinem Urtheile über eine ihm ein 
gereichte Abhandlung stellt er dem Verfasser 4 ) das Zeugniss 
aus, sie enthalte „gültige Beweise seines Scharfsinnes, wissen 
schaftlichen Eifers, und besonders einer, in diesem Grade der 
Genauigkeit, jetzt seltenen vertrauten Bekanntschaft mit den 
Schriften Euclid’s.“ Und wie sah es in dieser Hinsicht 30 Jahre 
später aus! Zugeben freilich muss man, dass man die richtige Wür 
digung jener Periode viel eher erlangt durch Lektüre allgemein 
wissenschaftlicher Bücher, die stets schätzbare historische Be 
merkungen darbieten, als durch das Studium eigentlicher Ge 
schichtswerke. Denn die Kunst der Geschichtschreibung, die 
eigentliche Historik, lag damals noch in den Windeln, Methode 
und System fehlten fast ganz. Mehr über diese an sich auffal 
lende Erscheinung wird in der zehnten Kote gesagt werden. 
1) A. v. Humboldt, Kosmos, 2. Band, Stuttgart und Tübingen 1853. 
Abschnitt 2. 
2) Curtze, Sur l’ortographie du nom et sur la patrie de Witelo (Vi- 
tellion), Boncomp. Bullett. Tomo IV. S. 49 ff. 
3) Pemberton, A view of Sir Isaac Newton’s Philosophy, London 1728. 
Preface. 
4) Hessling, Versuch einer Theorie der Parallcllinien, Halle 1818. 
s. xxxxv.
	        
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