Full text: Ziele und Resultate der neueren mathematisch-historischen Forschung

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Bolognc do 1655.“ Wenn wir nun auch angesichts dieses Passus 
nicht mit Luchesini 7 ) uns dahin aussprechen können, dass 
Lagrange überhaupt die erste Conception seiner neuen Theorie 
den Galilei’schen Gesprächen über das Weltsystem zu danken 
habe, so werden wir doch auf der anderen Seite zugestohen 
müssen, dass ihm auch direkt sachlicher Nutzen aus seinen histo 
rischen Nachforschungen erwachsen sei. Kurz, wie uns 
Lagrange in der unübertroffenen Klarheit seiner Deduktion, 
in der Eleganz seiner Schreib- und Rechnungsweise als Vorbild 
seit Langem gilt, so kann er auch in seinem Bestreben, histo 
risches Material direkt für die Zwecke der fortschreitenden Wis 
senschaft selbst zu verwerthen, als Ideal aufgestellt werden; 
möchten recht Viele demselben nachstreben! 
Mit der hier in schwachen Umrissen skizzirten Tendenz 
Lagrange’s weist das wissenschaftliche Verfahren A. v, Hum 
boldt’s die mannigfachsten Berührungspunkte auf, so wenig 
auch im Allgemeinen der strenge nur auf Erweiterung des Wis 
sens bedachte Mathematiker dem genialen Polyhistor ähneln mag, 
dem es, besonders in späteren Lebensjahren, hauptsächlich um 
Verbreitung der Wissenschaft in immer weiteren Kreisen zu thun 
war. Lagrange hatte es unternommen, eine abstrakte und 
eigentlich noch wenig bekannte Disciplin, die rationelle Mechanik, 
auf einer durchaus neuen Basis zu entwickeln, und sollte diess 
einigermassen Anklang finden, so musste noth wendigerweise zu 
erst an der Hand historischen Daten der Nachweis erbracht wer 
den, dass und warum es jetzt nöthig geworden sei, jene Refor 
mation in’s Werk zu setzen. Humboldt dagegen hatte einen 
gewaltigen Hörer- und Leserkreis von höchst heterogener Vor 
bildung in ein unendlich ausgedehntes Wissensgebiet einzuführen, 
dessen Grenzen allerorts in diejenigen schwieriger oder doch für 
schwierig gehaltener Wissenschaften Übergriffen. Auf dem da 
mals üblichen dogmatisch-erklärenden Unterrichtswege vorzu 
gehen, verbot sich von selbst und hätte auch des Lehrers Eigen 
art schwerlich befriedigt, ein lediglich beschreibender Vortrag 
musste für beide Theile Ermüdung erzeugen. Aber Humboldt 
wusste Rath. Durch persönliche Neigung zur Geschichtsforschung 
hingezogen und durch sehr achtbare literarische Leistungen be 
reits eines festbegründeten Rufes auf diesem Gebiete sich er-
	        
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