Full text: Ziele und Resultate der neueren mathematisch-historischen Forschung

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gewiss nicht bekannt; sonst würde dasselbe, welches doch so 
hohen praktischen Nutzen gewährt, in dem uns seit kurzer Zeit 
zugänglichen Lehrbegriff (Note 22) ägyptischer Mathematik ge- 
wiss nicht fehlen. Aber auch Eu demus, der viel verdiente Ge 
schichtschreiber der griechischen Geometrie, dessen Bericht uns 
Produs theilweise erhalten hat, nennt ausdrücklich *) Pytha 
goras als den Erfinder. Treten wir uns jetzt unserer eigent 
lichen Aufgabe etwas näher. 
Der Grundcharakter pythagoräischer Mathematik war das 
Experimentiren, das stete vermuthlich durch bestimmte hode- 
getische Grundsätze geregelte Probiren, aus bereits bekannten 
neue Thatsachen heraus zu entwickeln. Auf diese Eigentümlich 
keit, welche auch zu manch’ anderem die Erklärung liefert, zu 
erst nachdrücklich hingewiesen zu haben, ist das unleugbare 
Verdienst M. Cantor’s 5 )*). Versuchen wir jetzt, mit Rück 
sicht hierauf die aufgeworfene Präge zu lösen, so müssen wir 
geometrische und arithmetische Verhältnisse gesondert betrach 
ten. Zunächst von ersteren. 
Bretschneider 7 ) fragt sich zuerst, ob vielleicht mit 
Hülfe der Proportionslehre, also im Sinne von Wallis (bezieh 
ungsweise Bhascara-Acharya 8 ), der Satz gefunden sein 
könne, und weist diese Deutung mit den sehr berechtigten Wor 
ten zurück, „die dazu erforderliche Construktion ist immer von 
der Art, dass einer, der den Satz nicht bereits kennt, schwerlich 
auf dieselbe verfallen sein würde.“ Wir haben unsere Ansicht 
über den vorliegenden Punkt bereits dahin ausgesprochen 9 ), 
dass die Vergleichung zweier nicht ähnlich liegenden Dreiecke 
in Bezug auf ihre Aehnlichkeit einen viel zu hohen Grad 
räumlicher Abstraktionskraft voraussetzt, um einen solchen Akt 
dem Pythagoras Zutrauen zu dürfen; der nämliche Grund 
veranlasste uns damals auch —• worin wir übrigens mit 
Hankel 10 ; übereinstimmen — betreffs der jener Schule zuge 
schriebenen ersten Construktion des regulären Fünfecks und des 
*) Die wissenschaftliche Pythagoras-Frage in den richtigen Fluss ge 
bracht zu haben, diess dankt die gelehrte Welt dem leider so wenig gewür 
digten Eduard Eöth. Wenn wir in unserem Falle gleichwohl nicht seine 
Darstellung 6 ! zur Leitschnur nehmen, so geschieht diess, weil ßöth in rein- 
mathematischen Dingen allzusehr modern dachte.
	        
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