57
als himmlische Bahnform möglich erachtete, ist neuerdings un
widerleglich nachgewiesen worden 10 ). Und auch Kepler ver
warf die Epicyklen nicht a priori; welch’ unendliche Mühe es
ihn kostete, sich auf induktivem Wege aus dieser Gedanken
richtung heraus- und in eine neue anders geartete hineinzuarbei
ten, lehrt uns ein Blick in sein unsterbliches Werk „de stella
Martis.“ Ersetzt wurde also die alte siebzehn Jahrhunderte in
Kraft gebliebene Lehre durch eine neue und bessere, aber nicht
leichthin, sondern nur durch gewaltige geistige Arbeit.
Zu dieser Ansicht bekennt sich auch der nun schon so oft
von uns angeführte geistvolle W he well. Allein er geht noch
weiter, er deutet an, dass wir auch jetzt noch der Epicyklen
nicht entbehren können 1J ). Die Rechnungsmethoden der neueren
Sternkunde sind durchweg Approximationsmethoden, welche mit
der in analytische Form umgesetzten Epicyklenlehre durchaus
übereinstimmen. Apollonius und Ptolemaeus haben ja
niemals behauptet, dass sich die Erscheinungen im Weltall genau
nach ihren Vorschriften abspielen müssten — das haben erst die
Spätscholastiker gethan — ; sie hielten lediglich dafür, dass für
die Praxis jene Erscheinungen mit ihren Annahmen genau genug
stimmten, und das ist noch heute wahr. Whewell hat also
gewiss Recht, wenn er (a. a. 0.) die Frage nach dem principiel-
len Werth der absoluten Kreistheorie als etwas ganz nebensäch
liches bezeichnet. „Was die Vorwürfe und selbst die Spöttereien
betrifft, die sich manche gegen die Verwickelung dieses Systems
erlaubt haben, so sieht man leicht, dass sie von wenig Gewichte
sind. Als ein Rechnungssystem ist es nicht nur gut, sondern,
wie wir so eben gezeigt haben, selbst in der Hauptbeziehung
nicht von dem neuesten und besten System verschieden.“
Was der Engländer nur berührte, hat unser grosser Lands
mann Möbius aufgenommen und zum Abschluss gebracht. In
einem mustergültigen Werke führte er an verschiedenen 12 )
Stellen den Nachweis, dass die Zusammensetzung einer Central
bewegung aus Hülfskreisen im Sinne der Griechen das geome
trisch-kinematische Analogon jenes Vorganges sei, welches unsere
Analysis als Entwickelung einer Funktion in trigonometrische
Reihen *) kennt und anwendet.
*) Reiben, die nach den Sinus und Cosinus der Multipla eines Winkels