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Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß mein Aufenthalt bei Ihnen,
wenngleich so kurz und getrübt, doch durch die vielen Beweise
von Liebe und Vertrauen, die Sie mir gaben, einen sehr freund
lichen Eindruck bei mir hinterlassen hat, indem mir ist, als sei
ich Ihnen dadurch wesentlich näher gerückt.
Nun die Frage, die mir unterwegs aufgefallen ist und mich
hier schon vielfältig beschäftigt hat. Sollte es nicht gerade jetzt
zu Ihrer Aufheiterung dienen, wenn Sie den früheren Gedanken,
uns einmal hier in Marburg zu besuchen, in Ausführung brächten?
Sie könnten die 18 Meilen, sollte ich denken, in einem Tage fahren,
und, hier angekommen, würde ich Sie bitten, bei uns vorlieb zu
nehmen, und würden meine Frau und ich keine größere Freude
kennen, als Ihnen ein paar ruhig-freundliche Tage in unserer
stillen, freilich etwas engen Häuslichkeit zu verschaffen. Über
legen Sie einmal, ob sich dieser Plan nicht vielleicht in den Weih
nachtsferien wenigstens ausführen ließe.
Wir kamen am 20. Oktbr. in Kassel und am 22. hier an. Am
ersten Orte fand ich wegen der obschwebenden politischen Ange
legenheiten und Ihnen bekannten städtischen Auftritte eine heftige
Spannung, und war wirklich wegen der möglichen Folgen nicht
ohne Unruhe und Besorgnis. Es hat sich dieselbe jedoch allmählich
gemindert, und hege ich jetzt wieder die Hoffnung, daß wir hier in
Hessen ohne gewaltsame Auftritte zu einer Regeneration des öffent
lichen Zustandes gelangen werden. — Uebrigens muß ich eine
Zahlenangabe berichtigen. — Ich schlug den Ueberrest der alt-
hessischen Landesschuld zu 300 000 Taler an. — Sie beträgt effektiv
noch nahe 1 Millfion], obwohl sie sich nach der Berechnung aus den
Elementen, die in dem ihre Tilgung nominierenden letzten Land
tagsabschied enthalten sind, sich = 0 finden soll. — Ein bedeuten
der Umstand, den ich damals noch nicht wußte, liegt aber darin,
daß die Uebernahme der Landesschuld von seiten des K[ur]-
f[ürsten] sich keineswegs auf diese althessische allein beschränkt,
sondern auch die Schulden der andern, z. T. neuen, Landesteile
umfaßt, und so kann das ganze Opfer in maximo 3^—I Mil
lionen angeschlagen werden.
Als ich im Begriff war, von Ihnen Abschied zu nehmen, er
wähnte ich noch des Olbersschen Doktor-Jubilaei. Ich habe, seit
dem ich hier war, seine Dissertation wieder hervorgesucht und ge
funden, daß es auf den 28. Dezhr. fällt. Meine Frage dabei war:
1. ) ob nicht in der Voraussetzung, daß O [Ibers] noch nicht Doktor
philosoph [iae] sei, gerade dies eine herrliche Gelegenheit sei,
das Promotionsrecht unserer Universitäten und Fakultäten
auf eine recht würdige Weise auszuüben?
2. ) ob nicht gerade vor allen andern philosoph[ischen] Fakultäten
die Gotting[i]sehe sich hiezu gleichsam berufen glaube? —
Briefwechsel Gauß und Gerling, 22