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Nr. 337. [Gauß an Gerling.]
Göttingen, 4. Febr. 1844.
Zwischen Ihrem letzten Briefe, mein teuerster Freund, und
meiner Beantwortung war einige Zeit verflossen, weil sich nicht
gleich Kaestners Compendium hatte auf treiben lassen; dies
hatte eine doppelte Folge, 1.) daß ich, sobald ich das Nötige, um
Ihnen über n Auskunft zu geben, erhalten hatte, eilte. Ihnen solche
zuzusenden und dabei Ihren Brief nicht selbst wieder nachsah;
2.) daß mir bei Absendung der Antwort der Inhalt Ihres Briefes
nicht mehr ganz im Gedächtnis gewesen. So ist es zugegangen, daß
ich vergessen hahe, einen andern Punkt Ihres Briefes zu beant
worten, an den ich eben heute durch eine ganz zufällige Ver
anlassung wieder erinnert bin.
Der Titel des Buches meines alten Universitätsfreundes Var
kasch [ x ] (i. e.Wolfgang) von Bolyai[ 2 ] Vater ist wörtlich folgender;
Tentamen juventutem studiosam in dementa matheseos
purae, elementaris ac sublimioris, methodo intuitiva, evidentiaque
huic propria, introducendi cum Appendice triplici. Auctore Pro
fessore Matheseos et Physices Ghemiaeque Puhl. Ordinario. Tomus
primus. Maros Väsarhelyini 1832. Typis collegii Reformatorum
per Josephum et Simeonem Kali de felsö Vist. LXVI u. 502
Seiten 8 V0 ; Tomus secundus 1833. XVI u. 400 S. viele Kupfer
tafeln. Den Namen des Verfassers finde ich nicht angegeben.
Die eine, beim ersten Bande befindliche Appendix hat den
Titel:
Appendix scientiam spatii absolute veram exhibens: a veri-
tate aut falsitate Axiomatis XI Euclidei (a priori haud unquam
decidenda) independentem; adjecta ad casum falsitatis quadra
tura circuii geometrica. Auctore Johanne Bolyai de eadem*)
geometrarum in exercitu Caesareo Regio Austriaco Castrensium
capitaneo.
Diese Appendix ist besonders paginiert (p. 1—26) ; da aber
auf der Titelseite weder Ort noch Jahr angegeben ist, so präsumiere
ich, daß diese Schrift, welche gerade die in Rede stehende ist, nicht
für sich, sondern nur als Anhang des Werkes des Vaters ins Publi
kum gekommen ist.
Übrigens hat in den letzten Dezennien ein Russe (Loba-
tschefsky[ 3 ], Staatsrat u[nd] Prozessor] in Kasan) einen ähnlichen
Weg eingeschlagen. Er nennt die nichteuklidische die imaginäre
Geometrie (wie Ihr ehemaliger Kollege [Schweikart] Astral-
*) of that ilk, wie es gewöhnlich bei Walter Scott heißt.
t 1 Richtig: Farkas.]
[ 2 Siehe auch die Anmerkung zu Brief Nr. 208, S. 387.]
[ 3 Lobatschefsky, Nicolai Ivanowitsch, geh. 1793, gest. 1856; einer der Entdecker der
Möglichkeit einer Nicht-Euklidischen Geometrie.]