Full text: Moderne Verirrungen auf philosophisch-mathematischen Gebieten

will (!), verlängert denken kann, wird ein Winkel genannt.“ Nehmen 
wir nun neuere Bücher! Da finden wir meist den Winkel als ein 
„Stück der Ebene, Feld der Ebene, Teil der Ebene“ (Koppe, 
Hallerstein, Baltzer, Spieker, H. Müller), und dieses Stück der Ebene 
soll sich ins Unendliche erstrecken und doch nach zw T ei Seiten hin 
durch unendliche Gerade begrenzt sein. Dann kommt oft noch 
eine Extradefinition hinzu, nach welcher dass Mass des Winkels 
als Kreisbogen bezeichnet wird, der den „Eichtungsunterschied“ 
der Schenkel angeben soll. Dabei wird gewöhnlich recht ungeniert 
der Kreisbogen gleich im Anfänge benutzt, die Gleichheit von 
Kreisbogen, das Krumme als: solches, was nicht einerlei Eichtung 
hat usw. Ein Eichtungsunterschied ist etwas ganz Unklares, wenn 
man Eichtungen nicht erst so definiert hat, dass man sie vonein 
ander als Grössen abziehen kann. Dabei aber setzt man den Winkel 
wieder einfach voraus oder gibt sieh naiv gar nicht mehr mit 
einer Erklärung ab. Bei den Teilen der Ebene springt man mit 
dem Unendlichen um, als ob darin gar nichts Schwieriges steckte. 
Und doch wird ohne ganz genaue, allen diesen Mathematikern 
unbekannte oder nicht geglückte Ausarbeitung des Unendlichen 
durch solche verschwommene Vorstellung jede Genauigkeit wieder 
aufgehoben. Durch kritische Bemerkungen aufmerksam gemacht, 
fangen manche Schulbücher an, lieber eine Definition gar nicht zu 
geben (z. B. H. Müller, Teubner 1902, S. 7) Erklärung 1. Zwei von 
einem Punkte ausgehende Strahlen bilden einen Winkel. Die 
beiden Strahlen heissen Schenkel, und ihr Ausgangspunkt heisst 
Scheitel des Winkels. Daraus folgt: Zusatz 1. Ein Winkel entsteht 
durch Drehung eines Strahles um seinen Ausgangspunkt. Über 
haupt ist es ein charakteristisches Zeichen für Verlegenheit und 
Verwässerung mathematischer Genauigkeit, wenn bei den Elementen 
die Bewegung benutzt wird, z. B. auch bei der Kongruenz oder 
bei dem versuchten Nachweise, dass zwei Gerade, die von einer 
dritten geschnitten werden, bei gleichen Wechsel winkeln oder 
supplementären Ergänzungswinkeln parallel seien. Das findet man 
leider als Methode (da wo anderes versagt) in vielen Schulbüchern. 
Jene beiden, zu beiden Seiten der Schneidenden entstehenden, ins 
Unendliche gehenden Halbstreifen sollen (durch Schnitt in der 
schneidenden Geraden) getrennt, umgedreht und aufeinander gelegt 
werden und sollen sich dann ganz decken, also völlig (in allen 
Punkten) übereinstimmen. Und doch kann man durch solche „Me 
thode“ den grössten Unsinn zustande bringen, z. B. beweisen, dass
	        
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