Killing, Grundlagen der Geometrie. I.
1
Erster Abschnitt,
Berechtigung der nicht-euklidischen Eaumformen.
§ i.
Das sogenannte elfte Axiom Euklids.
In dem berühmtesten Lehrbuch der Geometrie, den Ele
menten Euklids, 1 ) werden den Lehrsätzen und Konstruktionen
die notwendigsten Definitionen, Axiome und Postulate voraus
geschickt. Die Definitionen {oqoi) betreffen Punkt, Linie, Fläche,
Gerade, Ebene, Kreis, Winkel, Dreieck und Viereck; als Axiome
(xoival svvoiai) werden die allgemeinen Gröfsensätze hingestellt.
Daran schliefsen sich die Postulate {ahiifiara), welche uns hier
besonders interessieren und deshalb in wörtlicher Übersetzung
mitgeteilt werden sollen. Es sind folgende fünf:
1. Es wird gefordert, dafs man von einem beliebigen Punkte
nach einem beliebigen andern Punkte eine gerade Linie ziehen
könne,
2. und dafs eine begrenzte gerade Linie in ihrer Richtung
unbegrenzt verlängert werden könne,
3. und dafs um einen beliebigen Mittelpunkt und mit einem
beliebigen Radius ein Kreis beschrieben werden könne,
4. und dafs alle rechten Winkel einander gleich seien,
5. und dafs, wenn eine gerade Linie zwei gerade Linien
schneidet und die Summe der innern an derselben Seite liegenden
Winkel kleiner ist als zwei Rechte, die beiden Geraden, wofern
sie ins Unendliche verlängert werden, auf derjenigen Seite zu-
sammenstoisen, auf welcher die Winkel kleiner sind als zwei
Rechte.