Full text: Einführung in die Grundlagen der Geometrie (1. Band)

Erster Abschnitt. § 3. 
(j 
Soll denn der Begriff der Richtung ein Grundbegriff oder 
ein abgeleiteter sein? Nach den Lehrbüchern, in denen diese 
Methode angewandt wird, scheint er als Grundbegriff angesehen 
zu werden, da jede Definition fehlt. Indessen mufs man dann 
doch zum mindesten wissen, woran man gleiche und ungleiche 
Richtung erkennt. Hierauf fehlt jede Antwort. Vielfach gründet 
man den Begriff des Winkels auf den des Richtungsunterschiedes, 
aber dann kann man nicht angeben, wann Richtungsunterschiede 
gleich oder ungleich sind. Somit wird hier ein Wort eingeführt, 
dem man erst dann einen Inhalt geben kann, wenn man die 
gesamte Parallelentheorie bereits voraussetzt. 
Nun kann man auch, da man doch den Begriff des Winkels 
nicht entbehren kann, eine Definition von gleicher und ungleicher 
Richtung aufzustellen versuchen. Diejenige, welche der hier be 
liebten Anschauung zu Grunde liegt, kann etwa so ausgesprochen 
werden: Zwei Geraden haben gleiche oder ungleiche Richtung, 
wenn sie mit einer beide schneidenden Geraden gleiche oder 
ungleiche Winkel bilden. Aber diese Definition ist unerlaubt, 
solange die Parallelentheorie nicht erwiesen ist; man darf nur 
sagen: sie haben gleiche oder ungleiche Richtung in Bezug auf 
eine bestimmte dritte Gerade; dann ist es aber ungewifs, ob 
zwei Gerade, welche mit einer bestimmten Geraden gleiche 
Winkel bilden, auch von jeder Geraden unter gleichen Winkeln 
geschnitten werden. 
Diesen Gedanken spricht Gaufs 3 ) in folgender Weise aus: 
»Diese Bedeutung (nämlich die der Identität der Richtung zweier 
nicht koincidierender gerader Linien) ist so lange leer und ohne 
Haltung, bis wir wissen, was wir uns bei einer solcher Identität 
denken und woran wir dieselbe erkennen sollen. Soll sie an der 
Gleichheit der Winkel mit einer dritten geraden Linie erkannt 
werden, so wissen wir ohne vorangegangenen Beweis noch nicht, 
ob eben dieselbe Gleichheit auch bei den Winkeln mit einer 
vierten geraden Linie statt haben werde: soll die Gleichheit der 
Winkel mit jeder andern geraden Linie das Kriterium sein, so 
wissen wir wiederum nicht, ob gleiche Lage (Richtung) ohne 
Koincidenz möglich ist.»
	        
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