Die projektive Geometrie.
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Wir sind hier, ausgehend von einer ganz speziellen Voraus
setzung, zu der obigen allgemeinen Form des Linienelementes
gelangt. Wir müssen uns fragen, ob wir die Berechtigung dieser
Form durch allgemeine Betrachtungen beweisen können. Diese
Frage hat Riemann zu beantworten gesucht in einem Vortrage,
welchen er im Jahre 1854 behufs seiner Habilitation vor der
philosophischen Fakultät in Göttingen gehalten hat, der aber erst
nach seinem Tode gedruckt worden ist. In dieser Arbeit ent
wickelt er zuerst den allgemeinen Begriff einer n-fach ausge-
gehnten Mannigfaltigkeit auf eine Weise, welche sehr viele Be
rührungspunkte bietet mit den um zehn Jahre älteren Darlegungen
Grafsmanns, aber davon vollständig unabhängig und viel allgemeiner
ist. Eine klare Übersicht über diesen Teil seiner Arbeit würde
in einem engen Rahmen kaum möglich sein; Riemanns Darlegung
ist bereits ganz kurz gehalten und wird von ihm selbst als Vor
arbeit für Beiträge zur Analysis situs bezeichnet. Als wesentliches
Kennzeichen einer n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit glaubt
er zu finden, dafs sich die Ortsbestimmung in derselben auf
n Gröfsenbestimmungen zurückführen läfst. Demnach wird jedes
Wertsystem xj ...x n , für welches allen Variabein ein konstanter
Wert beigelegt wird, als Punkt bezeichnet; die Gesamtheit der
jenigen, für welche die Variabein von einer einzigen Veränder
lichen abhängig sind, heifst eine Linie, und wenn gesetzt wird:
xi = (f i (u x ... Up) ... x n = (/ n (uj ... u p ) für p < n,
wo (fi .. . (f n reelle Funktionen der unbeschränkt veränderlichen
reellen Gröfsen u t ... u p sind, so möge deren Gesamtheit als ein
p-dimensionales Gebilde bezeichnet werden. Um auf diese Mannig
faltigkeit überhaupt Mafs-Verhältnisse anwenden zu können, macht
Riemann die Annahme, dafs die Länge jeder Linie von ihrer Lage
unabhängig sei, dafs also jede Linie durch jede andere Linie gemessen
werden könne. Diese (an sich unzulässige) Annahme wird aber
keineswegs in voller Allgemeinheit vorausgesetzt, vielmehr be
schränkt sich Riemann sofort wieder auf solche Linien, wie wir
sie bereits oben (S. 211) charakterisiert haben. Dann wird das Linien
element eine homogene Funktion ersten Grades der Gröfsen dx,
welche ungeändert bleibt, wenn sämtliche Gröfsen dx ihr Zeichen
ändern, und worin die willkürlichen Konstanten stetige Funk
tionen der Gröfsen x sind. Ist m irgend eine Paarzahl, so setzt