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Achter Abschnitt. § 11.
Interesse, zu sehen, dafs sie in ihren Grundlagen manche Ähn
lichkeit zeigt mit einem System, welches Veronese vor wenigen
Jahren aufgestellt hat (VII § 9 S. 294 ff.). Zwar haben wir der
Art und Weise, in welcher der italienische Mathematiker die
Geometrie begründet, und die er als die allein berechtigte hin
stellen möchte, aus vielen Gründen nicht zustimmen können.
Ganz abgesehen von den schweren Bedenken gegen seine un
endlich grofsen und unendlich kleinen Segmente können wir der
allgemeinen Einführung der Gleichheit in seinem Sinne nicht bei
pflichten. Dennoch haben wir die Bedeutung seines Werkes recht
hoch anschlagen müssen. Indem Veronese in jeder Figur je zwei
Punkte durch eine gerade Strecke verbindet und die daraus ent
stehende neue Figur der Untersuchung zu Grunde legt, gelingt
es ihm, eine einheitliche Methode zu schaffen, die ihm sogar
gestattet, kongruente und symmetrische Figuren zu unterscheiden,
ohne die Bewegung zu benutzen. Veronese legt dem Raum an
sich unendlich viele Dimensionen bei; der n-dimensionale Raum
für jede Zahl n ist für ihn blofs eine Figur im allgemeinen Raume.
Wäre er in gleicher Weise von einem allgemeineren Begriff der
Gleichheit ausgegangen, so würde er nicht gezwungen worden
sein, sich auf einzelne Raumformen zu beschränken, die weder
theoretisch noch für die Erfahrung vor den von ihm ausge
schlossenen einen Vorzug besitzen.
Auch Tillys Versuch (VII § 8. S. 208 ff.) kann als befrie
digend nicht angesehen werden, darf aber keineswegs vollständig
verworfen werden. Der wesentlichste Punkt seines Hauptaxioms
besteht in der Forderung, dafs die Abstandsfunktion zweier Punkte
nur dann gleich null wird, wenn die Punkte zusammenfallen.
Dadurch tritt dasselbe in enge Beziehung zu den Voraussetzungen,
die wir in VIII § 10 zu Grunde gelegt haben; somit bietet auch
sein Aufbau Anknüpfungspunkte mit den allgemeinen Ideen, von
denen wir ausgegangen sind.
Das »Experiment«, vermittelst dessen Überweg (VII § 7.
S. 204) eine einheitliche Grundlage für die Geometrie glaubt
schaffen zu können, kann nicht als ausreichend angesehen werden;
wie nahe es aber bereits an die Wahrheit herankommt, zeigt die
Ähnlichkeit mit den »Thatsachen«, die nach Helmholtz’ Ansicht
der Geometrie zum Grunde liegen.